Dokumentarfilmer über G20-Filme: „Ästhetisch haben wir gewonnen“
Über den G20-Gipfel in Hamburg sind insgesamt 20 alternative Dokumentarfilme gedreht worden. Der Hamburger Filmemacher Rasmus Gerlach zieht Bilanz.
taz: Herr Gerlach, Sie haben die Dokumentation „Der Gipfel – Performing G20“ gedreht, aber auch sonst einen guten Überblick: Wie kommt es, dass es so viele Filme zum G20-Gipfel 2017 in Hamburg gibt?
Rasmus Gerlach: Ich habe während des Gipfels beim alternativen Medienzentrum FC/MC mitgearbeitet. Es ging uns darum, eine möglichst große Gegenöffentlichkeit abzubilden. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm hatte zwar Wim Wenders mit einem Team gefilmt, doch daraus ist dann nichts geworden; auch sonst war der filmische Output enttäuschend gering. Deshalb haben wir in Hamburg viele junge Filmemacher*innen dazu ermuntert mitzumachen. Gruppen aus anderen Städten haben Aufnahmen bei verschiedenen Demozügen gemacht und wir sind sehr froh darüber, wie unterschiedlich die Arbeiten dann geworden sind.
Wie viele Filme sind damals insgesamt entstanden ?
Es gibt 20 von diesen alternativen Filmen, und in einer neun Stunden langen Gesamtschau sind sie auch in der Roten Flora gezeigt worden. Das Schöne ist, dass es sowohl inhaltlich wie auch stilistisch kaum Doubletten gibt. Mit „Welcome to the New World“ gibt es sogar einen kleinen Spielfilm, der Kurzfilm „Roh und Gekocht“ wurde auf Super-8-Filmmaterial gedreht und lief auf dem Hamburger Kurzfilmfestival.
Das Fernsehen hat all das ignoriert.
„Vor dem großen Knall“ war der einzige Film aus der Reihe, der im Fernsehen lief: Er wurde von dem etwas mutigeren Privatsender Tele 5 gezeigt.
Wo sind diese Filme stattdessen zu sehen ?
Wir suchen mutige Kinos, die das Neun-Stunden-Programm zeigen – aber das ist nicht so einfach. Zwei Jahre nach G20 werden am Wochenende nun aber wenigstens vier Filme im Hamburger Studio-Kino gezeigt. Dabei gibt es dann auch Diskussionen mit Thomas Wüppesahl von den kritischen Polizisten und Rafael Behr, Professor an der Hamburger Polizei-Akademie.
56, studierte Visuelle Kommunikation an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Dreht seit Mitte der 80er-Jahre Dokumentarfilme.
Wäre es nicht auch interessant, einen Vergleich anzustellen mit den Beiträgen der Fernsehanstalten zu Gipfel, Demonstrationen und Polizeieinsatz ?
Das gesammelte Fernsehschaffen zum Thema hat das Archiv der sozialen Bewegungen der Roten Flora gesammelt. Die haben das komprimiert und eine DVD zusammengestellt. Diese Arbeit sehen wir auch als einen Teil des G20-Filmerbes – auch die Plakate sind dort elektronisch versammelt.
Wie hat sich aus Ihrer Sicht dieses Erbe entwickelt in den zwei Jahren seither?
An den Reaktionen konnten wir erkennen, dass die Diskussion bundesweit und im Ausland anders geführt wurde. Aber als ehrliche Haut muss ich sagen, dass es uns am Ende wenig genutzt hat.
In dem Sinne, dass der Protest erfolglos gewesen sei?
Vielleicht hätten wir versuchen müssen, prominente Figuren heranzuziehen. Ich bin eigentlich kein Fürredner solch einer Prominentenkultur – aber wenn sich, wie in Heiligendamm, Die Toten Hosen, Wim Wenders, Bob Geldorf und Bono engagieren, dann macht das einen ganz anderen Eindruck.
Also ist das Fazit eher ernüchternd ?
Politisch stehen wir unter dem Strich mit leeren Händen da, viele junge Demonstrant*innen werden mit Höchststrafen weggeknastet, kein*e einzige*r Polizist*in gerät auch nur in die Nähe einer Anklage. Aber ästhetisch haben wir gewonnen: Viele tolle junge Leute haben damals in Hamburg ihre ersten Erfahrungen als Filmemacher*innen gemacht. Unser Medienzentrum war ein großes Labor, und die Lehren können bei neuen Protesten anderswo nützlich sein. Man muss ja nicht in jedem Land neu beginnen und kann die Resultate aus der Arbeit weitergeben. Wie etwa im August: bei den Protesten gegen den G7-Gipfel in Biarritz.
Wie haben Sie Ihren eigenen Film unter die Leute gemacht ?
Es gab 99 Einladungen zu Vorführungen in alternativen Kinos und Kommunalkinos, der Film wurde viel Open-Air gezeigt. Da dauerten dann die Gespräche danach oft noch mal so lange wie der Film selbst. Aber der Diskussionsbedarf war und ist groß – und dann muss man die komplexen Fragen auch genau beantworten.
Hat die große Zahl an Filmen über den Hamburger Gipfel damit zu tun, dass die Stadt sich gerne als Medienmetropole wahrnimmt?
Nein. Viele der Filme wurden ja von Auswärtigen gemacht. Der Regisseur von „Festival der Demokratie“, einem der erfolgreichsten Film in der Reihe, ist der Wiener Kunststudent Lars Kollros. Ich denke, wenn man selber in den Hamburger Kalamitäten gefangen ist, ist es schwieriger, so zu arbeiten. Der dokumentarische Blick sollte nicht zu nah am Leiden sein – aus der Distanz kann man brutaler hingucken.
G20-Filmprogramm 1 („Welcome to the New World“, „Festival der Demokratie“) und Diskussion: Sa, 6. 7., 19 Uhr; Programm 2 („Utopia“, „Der Gipfel – Performing G20“) und Diskussion: So, 7. 7., 18 Uhr;
beides: Hamburg, Studio-Kino
Hat die damalige Arbeit den Filmemacher*innen nicht auch einen gewissen Erfindungsreichtum abverlangt?
Für „Welcome to the New World“ hat der junge japanische Kameramann Jerry Suen eine Konstruktion erfunden, die bei einem Polizeieinsatz die Kamera schützt: sieht aus wie eine Mischung aus Vogelkäfig und Aquarium und wirkt gegen Schläge und Wasserwerfer. Dafür kriegt dann der Kameramann alles ab – aber Jerry hat es heil überstanden.
Sie selbst wurden bei den Aufnahmen verletzt.
Ein Polizist hat mir einen Rippenbruch verpasst. Ich weiß ja, der Künstler muss leiden, und so war ich nun einmal auch auf der Seite der Verletzten, die bei solch einem Großeinsatz am Ende übrigbleiben. Hamburg hat immer noch keine Zahl der verletzten G20-Demonstrant*innen vorgelegt aber immer wieder auf die verletzten Polizist*innen hingewiesen. Ein etwas schiefes Bild – von der Polizeistadt Hamburg wird noch zu sprechen sein.
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