Dokumentarfilm über Wünsdorf: Öko-City statt Truppenübungsplatz
Wie kann man ehemalige Militäranlagen friedlich nutzen? Elfi Mikeschs Dokumentarfilm „Krieg oder Frieden“ versucht sich am Beispiel Wünsdorf.
In Fetzen blättert die Farbe von der Wand. Unter der Farbe des Wandgemäldes haben Leerstand und Witterung die Fliesen wieder zum Vorschein kommen lassen. Das Bild zeigt Industrielandschaften und Landwirtschaft nebeneinander. Die Wand, von der das Bild herunterblättert, gehört zum Haus der Offiziere, dem Kernstück der Militäranlagen, die im Laufe des 20. Jahrhunderts im brandenburgischen Wünsdorf südlich von Berlin entstanden sind.
Das im Kaiserreich als Heeressportschule errichtete Gebäude steht seit dem Abzug der ehemaligen sowjetischen Armee 1994, drei Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion, leer. Es ist zum lokalen Symbol für die Schwierigkeiten einer friedlichen Nachnutzung von ehemaligen Militäranlagen geworden. Als solches greift auch die Dokumentarfilmerin Elfi Mikesch es in ihrem Film „Krieg oder Frieden“ auf.
Im Zentrum von Mikeschs Film steht die Frage, wie sich ehemalige Militärstandorte für eine friedliche Nutzung umwandeln lassen. Als Beispiel für Wünsdorf greift sie das Konzept des Architekten Ekhart Hahn auf, eines Pionies des ökologischen Städtebaus.
Hahn hat schon vor knapp zehn Jahren für Teile der militärischen Anlagen das Konzept einer Eco City entwickelt, einer CO2-neutralen Modellstadt, die zugleich Wohn- und Ausbildungsort für Menschen aus aller Welt sein soll, die nachhaltiges Bauen erlernen. Doch von Beginn an fehlte das Geld, um das Konzept umzusetzen. Und so reihen sich Hahns Entwürfe bisher in die lange Reihe von nicht realisierten Ideen für eine Umnutzung ein.
„Krieg oder Frieden“. Regie: Elfi Mikesch. Deutschland 2024, 86 Min.
Schon weit vor Hahns Konzept wurden schon in den 1990er Jahren einige wenige Gebäude umgenutzt – von unten. Eine Gruppe Künstler zog in einige der Häuser und baute sie in Eigenregie um und archiviert bis heute in den eigenen Räumen Fundstücke von damals. Aus einem Kinosaal etwa wurde ein Schlafzimmer. Auch Elfi Mikesch selbst drehte schon in den 1990er Jahren in Wünsdorf im Zuge der Kurzfilmreihe „Gefährliche Orte“, die von verlassenen Militärstandorten im Berliner Umland aus Verbindungslinien zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs zieht.
Die Zeit der sowjetischen Präsenz in Wünsdorf
Begonnen hatte die 1940 in der Steiermark geborene Mikesch als Fotografin. In den 1960er Jahren publizierte sie gemeinsam mit Rosa von Praunheim den Fotoroman „Oh Muvie“, ab den 1970er Jahren wirkte sie in verschiedenen Rollen an Filmen von Werner Schroeter mit, arbeitete als Kamerafrau für von Praunheim, Peter Lilienthal und Monika Treut. 1978 drehte sie in der Gropiusstadt ihren zeitübergreifend umwerfenden Film „Ich denke oft an Hawaii“ über die Wünsche und Sehnsüchte von Carmen, einer jungen Frau, die sich aus der engen Wohnung herausträumt.
„Krieg oder Frieden“ verwebt die Geschichte der zivilen Konversion der militärischen Anlagen in Wünsdorf mit einer Geschichte des Ortes und einer allgemeinen Reflexion über Krieg und Frieden. Die Darstellung der Geschichte beschränkt sich im Wesentlichen auf die Zeit der sowjetischen Präsenz in Wünsdorf, also von dem Moment, als der Stab General Schukows von Wünsdorf aus die Schlacht um Berlin plante, bis zum Abzug der dann schon ehemals sowjetischen Armee im Jahr 1994.
Hier sieht alles ungewohnt aus? Stimmt, seit Dienstag, 15.10.2024, hat die taz im Netz einen rundum erneuerten Auftritt. Damit stärken wir, was die taz seit Jahrzehnten auszeichnet: Themen setzen und laut sein. Alles zum Relaunch von taz.de, der Idee dahinter und der Umsetzung konkret lesen Sie hier.
Die Zeit davor – von der Heeressportschule bis zur Errichtung eines Führungsbunkers der Wehrmacht mit einer der ersten Selbstwählanlagen Deutschlands – bleibt weitgehend ausgespart. Wiederholt greift Mikesch den militärischen Teil der Geschichte Wünsdorfs auf. Sie zeigt Ausschnitte aus ihren eigenen Kurzfilmen zu den „Gefährlichen Orten“ und greift Philip Scheffners Dokumentarfilm „The Halfmoon Files“ (2007) auf, der die Geschichte eines Kriegsgefangenenlagers für muslimische Soldaten der Entente während des Ersten Weltkriegs zum Ausgangspunkt hat.
Die Bürder der Argumentation lastet auf Eva Mattes
Bedauerlicherweise findet der Film gerade für sein zentrales Anliegen – die konkreten Versuche einer zivilen Nutzung der militärischen Gebäude in Wünsdorf mit einem Nachdenken über die Möglichkeit dauerhaften Friedens – keine Form. Der Großteil dieses Filmabschnitts lastet auf der Schauspielerin Eva Mattes, die lesend in den Film einführt, die Hahns Planungen lauscht und die im Gespräch mit ihm klug und lehrreich über Krieg, Pazifismus und die Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine diskutiert.
Eva Mattes macht seit Jahrzehnten verlässlich jeden Film besser, an dem sie mitwirkt – nur hat man bei diesem keine Ahnung, warum sie in dem Film ist und noch dazu die Last von dessen Argumentationsführung tragen muss.
Letztlich überfordert schon der Titel mit der großen Frage nach „Krieg oder Frieden“ den Film. Mikesch setzt der großen Frage viele kleine Begegnungen und Fundstücke entgegen. Der Film hat so viele Elemente, die sich nur mit mehr Selbstdisziplin in der Struktur in einen einzigen Film zusammen hätten zwingen lassen.
Eben dieser Lösung aber widersetzt sich Elfi Mikesch beharrlich und grundsympathisch mit einer nie versiegenden Neugier auf die unendlichen Seitenzweige, die sich beim Kreisen um Wünsdorf und das Haus der Offiziere eröffnen. Und trotz aller kleineren Bedenken folgt man der Regisseurin und ihrem Film gern auf diesem Streifzug.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers