Dokumentarfilm über Element of Crime: Westberliner trifft Norddeutschland
Schauspieler und Regisseur Charly Hübner porträtiert die Band Element of Crime. „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ ist jetzt im Kino zu sehen.
Mit einer siebenminütigen Eröffnung, die so nur auf der Kinoleinwand funktionieren wird, beginnt Charly Hübners 90-minütiger Dokumentarfilm über die Geschichte und Gegenwart von Element of Crime. Benannt hat sich die Berliner Band nach einem 100-minütigen Thriller des dänischen Regisseurs Lars von Trier.
Dessen Filme sieht auch kein Mensch auf dem Laptop. „Warte auf mich, draußen ist es zu dunkel für einen allein“, mit diesem Zitat aus einem Text von Sänger und Trompeter Sven Regener eröffnet Hübner seine Liebeserklärung. „Warte auf mich“: Also lass dir Zeit, es kann dauern. Die Leinwand wird schwarz.
Dann macht Sven Regener, er hat dabei die Ruhe weg, dem Konzertpublikum klar, dass es jetzt gefilmt wird, und sagt den nächsten Song an: „Jung und schön“, ein recht flottes Stück Chanson-Rock, für den Element of Crime bekannt sind. Die Kamera begleitet eine S-Bahn-Fahrt vom Ostbahnhof im Grenzgebiet Mitte-Kreuzberg über die Stationen Jannowitzbrücke und Alex.
Der Fernsehturm kommt ins Bild. Charly Hübner wird zusteigen. Dazwischen werden die ersten von vielen Archivaufnahmen geschnitten, Berliner Kellerkinder bei Großstadtakrobatik, die vorschnell als melancholisch beschriebene Band bei Jux und Tollerei in der U-Bahn. Dann der Todesstreifen, die Mauer, die Brache am Potsdamer Platz vor der Okkupation durch DaimlerChrysler.
Film über städtische Musik und DDR-Landjugend
„Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ ist ein Film über eine städtische Musik, die, das spricht für ihre Raffinesse und Universalität, auch auf dem Land prägend wirken kann, wie sich Hübner in einer autobiografischen Sequenz über seine Jugend in der DDR der späten Achtzigerjahre erinnert.
Empfohlener externer Inhalt
Dahin gekommen sind Element of Crime über den Äther: An der Stelle, in der Hübners Film an Orte des alten Westberlins erinnert, das K.O.B. in Schöneberg und das Loft und das Metropol am Nollendorfplatz in Schöneberg, kommt mit dem Café Swing auch Radio 100 in das Bild: der erste private Hörfunksender der Stadt, der Autonomen aus dem Westen und Alternativen aus dem Osten ein Podium bot.
„Element of Crime – Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“. Regie: Charly Hübner. Deutschland 2024, 90 Min.
Element of Crime, jene Mischung aus Westberliner Selbstbewusstsein und norddeutschem Understatement, wurde wahrscheinlich weniger von Straßenkämpfern gehört, doch lässt sich die Bandgeschichte auf eine Musik des beherzten Missvergnügens zurückführen. Hübner zeigt Aufnahmen einer der Vorgängerbands, Zatopek, die ein zickiges Amalgam aus Punk, der keiner sein wollte, und Jazz, der keiner sein sollte, spielten.
Eine klangliche Entsprechung dessen, womit Richard Pappik die damalige Lebenswelt der Band umreißt: Kreuzberg 36, da sei es am grauesten, aber auch am buntesten gewesen, so grenzt der Schlagzeuger Kreuzberg 36 von Kreuzberg 61 ab. Über den Soundtrack dazu meint er allerdings auch rückblickend, so könne man spielen, aber man könne sich das nicht anhören. Darüber will noch einmal geredet werden.
Sven Regener
Nach vier englischsprachigen Alben erschien 1991 „Damals hinterm Mond“, die LP, mit der die Element of Crime von heute beginnen. Die Entscheidung, deutsch zu singen, kommentiert Sven Regener mit dem bemerkenswerten Satz: „Es ist nichts Vaterländisches dabei, eher Muttersprachliches.“ Durch eine Archivsequenz läuft eine Berliner Häuserwand, die so wahrscheinlich längst totsaniert sein dürfte. Auf ihr wird ein antifaschistisches Festival angekündigt, nicht etwa durch ein Plakat, sondern mittels eines von Hand gepinselten ausladenden Schriftzugs. Er dürfte über Nacht entstanden sein.
Die Dämmerung, ob morgens oder abends, das Zwielicht und das Ungefähre, dabei in klaren Worten Formulierte, das scheint die Sache von Element of Crime zu sein. Charly Hübner hat die Band, von der man sagen darf, dass sie auch seine ist, backstage, im Café und im Park interviewt. Er begleitet sie von Kreuzberg, vom Privatclub, dem Lido und dem mythischen SO36 nach Mitte auf die große Bühne des Admiralspalasts bis zum Freiluftkonzert in der Zitadelle Spandau, zeichnet noch einmal den Weg der Band nach.
„Aus Teenagernöten wurden andere Nöte“, sagt Hübner im Abspann. Davon muss weiter gesungen werden: Die Band hat sich für ihre Konzerte jüngere KünstlerInnen wie Maike Rosa Vogel, Florian Horwarth und Ansa Sauermann, die Bands Isolation Berlin, Von Wegen Lisbeth und das Duo Steiner & Madlaina eingeladen. Sven Regener sagt sie euphorisch an.
So weit, so schön. Vorher aber im Film ist noch einmal die Brache vom Potsdamer Platz zu sehen. Sie fehlt wie der Mensch, der einfach dasitzt und liest. Gewidmet ist der Film dem Produzenten und Bassisten David Young (1949–2022). Einen Auftritt hat Monika Döring (1937–2024). Die Konzertveranstalterin hat, was in „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ zu sehen ist, mit möglich gemacht. Sie tanzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Studie zu Zweitem Weltkrieg
„Die Deutschen sind nackt und sie schreien“