Dokumentarfilm „Lagerhaus G“: Das KZ in Hamburgs Hafen
Das „Lagerhaus G“ am Kleinen Grasbrook in Hamburg soll eine Gedenkstätte werden, verfällt aber zunehmend. Seine Geschichte erzählt nun ein Film.
Aus Auschwitz war sie mit einer Gruppe Frauen in Viehwagen nach Hamburg gefahren worden. Im Außenlager des KZ Neuengamme am Dessauer Ufer wurde sie dann neben italienischen Militärinternierten gefangengehalten. Über eine halbe Million von diesen Sklavenarbeiter*innen gab es damals alleine in Hamburg, und der Filmemacher Markus Fiedler sagt, es wäre schwierig, einen Hamburger Betrieb aus dieser Zeit zu finden, in dem keine Zwangsarbeiter*innen eingesetzt wurden.
Diese Tatsachen sind auch heute noch nur wenigen ein Begriff. Auch Fiedler waren sie im Jahr 2015 noch unbekannt, als er seine Dreharbeiten über das historische Gebäude „Lagerhaus G“ begann.
Schon damals drohte der Abriss, denn zu dieser Zeit hatte sich Hamburg für die Olympischen Sommerspiele 2024 beworben, und auf dem Gebiet des ehemaligen Freihafens hätten Sportstätten sowie das olympische Dorf entstehen sollen. Das „Lagerhaus G“ hatte allerdings einen Besitzer, und dieser Lothar Lukas war solch ein bunter Vogel und rebellischer Geist, dass Fiedler in ihm einen guten Protagonisten erkannte, der solch einen Film über ein Gebäude mit Leben erfüllen könnte. Dies wird auch einer der Gründe dafür gewesen sein, warum Fiedler seine filmische Recherche über die Immobilie begann.
Der Speicher wurde im Jahr 1903 gebaut, als das Gelände zum Freihafen deklariert wurde: Viele Unternehmen deponierten in der Folge dort ihre Waren, um so die Zollgebühren zu vermeiden. Jahrzehntelang hat die Firma Reemtsma dort Tabak gelagert: Auch dies erwies sich als ein Glücksfall für Markus Fiedler, denn Jan Philipp Reemtsma erklärte sich bereit, vor dessen Kamera Auskunft zu geben – und dies nicht nur als Erbe des Tabakunternehmens, sondern auch als Sozialwissenschaftler, der im Film kundig und pointiert über die Themen Zwangsarbeit in Hamburg und die Erhaltung historischer Gebäude spricht.
Zuerst interessierte Fiedler sich vor allem für den Kampf von Lothar Lukas gegen die Hamburger Hafenbehörden. Das Dilemma bei Gebäuden auf dem Hafengebiet besteht darin, dass die Stadt immer der Besitzer des Grundstücks bleibt, dem Eigentümer also nur das Haus, nicht aber der Boden gehört.
Für Fiedler erledigte sich dieses Problem, als die Hamburger*innen sich bei einer Volksabstimmung gegen die olympischen Spiele in ihrer Stadt entschieden. Doch inzwischen gibt es neue Eigentümer, und auch diese sind nun in einen jahrelangen Rechtsstreit mit der Hamburg Port Authority verwickelt, die auf dem ehemaligen Freihafengebiet gerne ein Viertel mit Luxuswohnungen bauen lassen würde.
Erst im Laufe seiner Recherchen fand Fiedler heraus, dass das Lagerhaus G ein Internierungslager für Zwangsarbeiter*innen war. Und dadurch veränderte sich der Fokus seines Films. Mit Edith Kraus und Livia Fränkel aus Rumänien fand er zwei Frauen, die erschütternd und sehr anschaulich von ihrer Zeit im Lagerhaus berichten konnten. Und es bildete sich eine Initiative, die sich dafür einsetzt, dass das Gebäude erhalten und in eine Gedenkstätte umgewandelt wird. Fiedler ist selber Mitglied dieser Initiative, er ist also nicht nur Beobachter, sondern auch interessierter Beteiligter.
Filmisch macht er diese Unschärfe deutlich, indem er auf dem fahrenden Fahrrad Aufnahmen von einer Fahrraddemo der Initiative macht, er also zugleich daran teilnimmt und sie dokumentiert. Auch sonst spielt er mit den Konventionen des Dokumentarfilms. So vertauscht Jan Philipp Reemtsma einmal die Rollen von Fragendem und Befragtem, um Fiedler nun seinerseits einmal „auf den Zahn zu fühlen“.
Der Film läuft im Rahmen der dokumentarfilmwoche hamburg (20.-24. April) am 24.4. um 15.30 Uhr im Metropolis Kino.
Als einfallsreicher Filmemacher zeigt sich Fiedler auch, wenn er von dem überraschend schnellen Tod seines ursprünglichen Protagonisten Lothar Lukas erzählt. Nach einem letzten Gespräch mit ihm folgen ein paar Aufnahmen von seinen nun leeren Büroräumen. Da wirkt das Lagerhaus dann plötzlich gespenstisch – wie verlassen von den Lebendigen. Und auch für Edith Kraus ist es ja ein Ort des Schreckens und der Angst.
Heute steht es unter Denkmalschutz und der Hamburger Koalitionsvertrag schreibt fest, dass es in eine Gedenkstätte umgewandelt werden soll. Fiedler nennt es eine „strategische Entscheidung“, den Film jetzt herauszubringen. „Jetzt muss man was machen“, sagt er. Denn die Bausubstanz sei inzwischen so gefährdet, dass es in ein paar Jahren „nichts mehr zu restaurieren geben würde“.
Nun haben alle politischen Filmemacher*innen die Hoffnung, mit ihren Werken etwas zu bewegen. Gelungen ist Fiedler auf jeden Fall, am Beispiel eines Gebäudes Hamburger Geschichte so komplex und lebendig zu erzählen, dass sie nicht mehr vergessen werden kann.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart