Dokumentarfilm „Born To Be Wild“: Heute leben sie in riesigen Villen
In „Born To Be Wild – Eine Band namens Steppenwolf“ lässt Regisseur Oliver Schwehm alte Rockstars erzählen – auch von ihren deutschen Wurzeln.

Und so beginnt Oliver Schwehms Dokumentarfilm „Born To Be Wild – Eine Band namens Steppenwolf“ dann auch mit Aufnahmen aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Darin erzählen Jugendfreunde der beiden späteren Rockstars davon, wie sie in den frühen 1950er-Jahren zusammen in den Kriegstrümmern spielten. Auch Klaus Meine sagt ein oder zwei Sätze in die Kamera, schließlich macht der Film auch klar: Meines „Scorpions“ sind dann doch nicht die einzigen Hannoveraner, die mit Rockmusik weltberühmt wurden.
Vor allem erzählen aber Kay und St. Nicholas selbst – und das in einem Deutsch, dem man anmerkt, dass es mal ihre Muttersprache war, die sie aber halt nur noch sehr selten sprechen. Sie erinnern sich an ihre Kindheit im schlagerseligen Nachkriegsdeutschland und daran, wie sie mit ihren Familien nach Kanada auswanderten. In Toronto begannen sie dann in den frühen 1960er-Jahren zusammen zu spielen – Blues zunächst.
John Kay war schon damals ein Sänger mit rebellischer Attitüde und einer dazu passend tiefen, immer etwas aggressiv klingenden Stimme. Bassist St. Nicholas blieb dagegen eher im Hintergrund. Beide zogen nach Los Angeles, trennten sich und spielten wieder zusammen: eine harte Anti-Hippie-Musik, was „Steppenwolf“ nicht zuletzt zur Lieblingsband der Hells Angels machte. Sie stürzten sich in den kalifornischen Lebensstil, der so gern mit „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“ umschrieben wird – vom Zeitzeugen Alice Cooper, selbst ein einflussreicher Rocker, witzig umgemünzt zu „Ferraris, Blondes and Switchblades“, also etwa: Sportwagen, Blondinen und Rasierklingen.
„Born To Be Wild – Eine Band namens Steppenwolf“. Regie: Oliver Schwehm, Deutschland/Kanada 2024, 97 Min.
Kinotour mit Oliver Schwehm & Nick St. Nicholas im Norden:
Bremerhaven, Koks: Mo, 8. Juli, 18 Uhr
Hamburg, Zeise: Mo, 8. Juli, 22.15 Uhr
Hamburg, Open-Air Kino Altona: Mo, 8. Juli, 23.15 Uhr
Plön, Astra: Di, 9. Juli, 18 Uhr
John Kays ach so düstere Aura hatte indes ganz einfach medizinische Gründe: Von Kindheit an litt er unter einer Sehbehinderung und hatte sehr lichtempfindliche Augen, sodass er fast immer eine Sonnenbrille mit besonders dunklen Gläsern tragen musste. Er war zudem noch farbenblind, und als Peter Fonda der Band den Film „Easy Rider“ vorführte, um an die Rechte für ihren Song „Born To Be Wild“ zu kommen, fragte Kay ihn nach der Vorführung, ob der Film „in Farbe“ sei.
Der „Easy Rider“-Film machte den Song, die dritte Steppenwolf-Single, dann zum Welthit. Von diesem Erfolg zehrte die Band bis in die 2000er-Jahre, als die inzwischen zerstrittenen Bandmitglieder in Gestalt einer ganzen Reihe konkurrierender Nachfolgebands auf Tournee gingen.
Der deutsche Filmemacher Schwehm erzählt sehr detailreich vom Aufstieg und Fall der Band, und hat zu jedem aufgeblätterten Aspekt der Geschichte teils prominente Zeitzeugen befragen können: Neben Klaus Meine und Peter Fonda treten auch der erwähnte Alice Cooper, Jello Biafra (ehemals Sänger der Punkband Dead Kennedys), der Blues-Musiker Taj Mahal, Filmregisseur Cameron Crowe und andere in kurzen, pointiert montierten Interviewpassagen auf. Vor allem erzählen aber Kay und St. Nicholas selbst ihre Lebensgeschichten – und wenn es da, wohl kaum vermeidlich, zu Widersprüchen in der Erinnerung kommt, machen die diesen Film nur interessanter.
Schwehm hat sorgfältig recherchiert und unter anderem Mars Bonfire aufgetrieben, Komponist von „Born To Be Wild“. Ob der noch die Rechte daran hat und wie viel Geld er so bis heute an den Tantiemen verdiente, bekam er leider nicht aus ihm heraus. Aber in einer fast schon hinterhältig montierten Sequenz zeigt er, wie luxuriös diese alten weißen Männer heute in ihren riesigen Villen leben – dank „Born To Be Wild“.
Als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent hat Schwehm eine gute Nase für kuriose Geschichten. Und er versteht es, sie unterhaltsam in Filme umzusetzen. Porträtiert hat er so etwa den westdeutschen „Winnetou“ Pierre Brice, Arno Schmidt und Milli Vanilli; mit den Filmen „German Grusel“ über die Edgar-Wallace-Filme und „Cinema Perverso“ über die Bahnhofskinos warf er liebevolle Blicke auf gern auch mal abseitige deutsche Populärkultur. Und mit „Fly Rocket Fly!“ erzählte er 2017 die unglaubliche, aber wahre Geschichte des deutschen Raketenbauers Lutz Kayser.
Langweilig sind seine Filme nie – auch wenn er in „Born To Be Wild“ den Fans manchmal ein wenig zu viel Zucker gibt und auch einige nicht so gute Songs und Auftritte zeigt. Dafür gibt es dann aber auch Zuckerli wie einen Auftritt, bei dem Kay mit ungewohnter Rührung „Am Brunnen vor dem Tore“ singt. Oder schlicht den Umstand, dass Helge Schneider für die deutsche Fassung das Voice-over für Nick St. Nicholas eingesprochen hat.
Mit „Magic Carpet Ride“ hatten Steppenwolf noch einen zweiten Welthit, aber die meisten ihrer Songs sind heute so gut wie vergessen. Ein Dutzend ist im Film zu hören – wohl auch um zu zeigen, dass die Band gerade kein One-Hit-Wonder war.
Kernstück, klar, ist „Born To Be Wild“, und dabei gelingt es Schwehm, den Song immer wieder anders zu präsentieren. So etwa in der ersten Demoversion, die lange als verschollen galt und die auch Kay selbst seit langer Zeit zum ersten Mal wieder hört. Für den Abspann hat Schwehm Instagram-Posts zusammengeschnitten: Laien bei der Interpretation, in zum Teil sehr abenteuerlichen Versionen: wie um zu zeigen, wie ansteckend der Schrei „Born To Be Wild!“ auch heute noch ist.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?