Doku „Wem gehört mein Dorf?“ im Kino: Betongold der Ostsee
Göhren ist überall: Christoph Eders Kino-Doku „Wem gehört mein Dorf?“ begleitet ein Dorf auf Rügen im Kampf gegen einen Investor.
„Muss man immer irgendetwas vorhaben?“ Es ist wohl die Schlüsselfrage, die Nadine Förster, eine Protagonistin im Dokumentarfilm „Wem gehört mein Dorf?“, nach einer guten halben Stunde stellt. Förster, die gebürtige Rüganerin, steht da bei Vogelgezwitscher und Sonnenschein inmitten einer weiten, unberührten Wiesenlandschaft, die ihrer Familie gehört.
Gerade ist sie von Regisseur Christoph Eder gefragt worden, was die Familie mit diesem Filetstück auf der Halbinsel Mönchgut, einem Investorentraum, nur einen Steinwurf vom Ostseestrand entfernt, vorhabe.
„Gar nichts“, lautet die Antwort, denn Nadine Förster und ihr Vater Bernd Elgeti widerstehen der Versuchung des Betongolds. Sie werden das Mönchguter Wiesen- und Ackerland nicht zu Bauland machen, um sich „über Nacht zu sanieren“, wie Förster sagt. Gemeinsam mit anderen Bürger:innen des Ostseebades haben sie 2014 die Bürgerinitiative „Lebenswertes Göhren“ gegründet, denn seit ein paar Jahren regt sich im Ort Widerstand gegen einen millionenschweren Privatinvestor aus Nordrhein-Westfalen.
Wilfried Horst entdeckte Göhren nach der Wiedervereinigung und investiert seitdem wie kein anderer in den Bau von Hotels und Ferienwohnungen. Unterstützt wird er von vier Männern aus dem Gemeinderat, in Göhren nur „die Vier von der Stange“ genannt, die trotz massiver Kritik und auch gegen den Willen des Bürgermeisters die Projekte des Investors durchwinken.
Goldgräberstimmung in den 90er Jahren
Christoph Eders Film beginnt mit verwackelten Bildern der elterlichen Videokamera. Es sind die frühen 90er Jahre auf der Insel Rügen, auf der der heute 33-jährige Regisseur, Sohn eines Tischlers, unbeschwerte Kindheitstage verlebt.
„Wem gehört mein Dorf?“. Regie: Christoph Eder. Deutschland 2021, 96 Min.
Die privaten Aufnahmen zeigen seine Familie, wie sie in der Ostsee badet, einen mit Surfbrettern beladenen Trabi, der sich durch tiefe Schlaglöcher einer Straße schleppt, und einen Badeort, in dem nun viele Bewohner:innen kräftig anpacken, um den grauen Sozialismus abzustreifen. Es herrscht Goldgräberstimmung an der ostdeutschen Ostseeküste.
Quasi über Nacht entwickeln sich verschlafene Fischerdörfer und Badeorte zu seelenlosen Touristenorten mit überdimensionierten Labyrinthen aus Bettenburgen, in denen heruntergekommene Strandvillen neben ihrer Fassade oft auch die Besitzer:innen wechseln und am Reißbrett entwickelte Ferien- und Eigentumswohnungen wie Pilze aus dem Boden schießen.
„Auf einmal hatten wir eine Seebrücke. Große Investitionen brachten große Kräne mit sich, graue Häuser wurden weiß und Kopfsteinpflaster zu Asphalt“, erzählt Filmemacher Christoph Eder die Geschichte seines Heimatdorfes Göhren mit sanften Worten aus dem Off.
Irgendetwas läuft schief
Knapp 30 Jahre später ist vom Ort seiner Kindheit nicht mehr viel übrig geblieben. Während die Kamera über die durchsanierten Fußwege und Straßen des Ostseebades fährt, beschreibt Eder ein „mulmiges Gefühl, das hier irgendetwas schiefläuft“.
Denn wem gehört das Dorf? Und werden die Bürger:innen der Initiative „Lebenswertes Göhren“ es schaffen, das nächste Bauprojekt, ein Wohngebiet auf einer Anhöhe des Dorfes mit einer atemberaubenden Aussicht auf die umliegenden Buchten, zu verhindern? Um das Projekt zu stoppen, treten einige Mitstreiter:innen zur kommenden Kommunalwahl an, der Film begleitet ihren packenden Wahlkampf.
Es sind die großen Fragen des 21. Jahrhunderts, die hier im Kleinen verhandelt werden. Es geht um kapitalistische Interessen, um die Verstrickung von Politik und Wirtschaft, um Profitgier und Gewinnmaximierung auf Kosten der Natur und des Gemeinwohls. Schnell wird klar: Göhren ist überall.
Es ist aber auch ein Film über die Kraft der Demokratie in Ostdeutschland, über den lange überfälligen Aufbruch einer Gruppe Bürger:innen, die es satt haben, sich ihre Insel unterm Arsch wegziehen zu lassen, und ihr Recht auf politische Mitbestimmung einfordern, um ihr Heimatdorf mitzugestalten.
Kampf vor Ort
Christoph Eder ist ein genauer Beobachter. Mehr als viereinhalb Jahre hat er sich für seinen Dokumentarfilm Zeit genommen und es geschafft, fast alle Parteien im Kampf um die Zukunft des Ortes für seinen Film zu gewinnen.
Beeindruckend dabei ist, wie es Eder, der Medienkunst an der Bauhaus-Universität Weimar und Regie an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf studierte, gelingt, auch der Gegenseite auf Augenhöhe zu begegnen. Etwa in einer Szene mit den „Vieren von der Stange“, die über ein durch ihr Votum entstandenes Bauland führen, auf dem derzeit 30 Einfamilienhäuser entstehen.
Stolz halten die Männer die neuen Straßenschilder in die Kamera und preisen ihre auf Wachstum und Investitionen ausgerichtete Lokalpolitik. Und so treffen in „Wem gehört mein Dorf?“ die unterschiedlichsten Interessen von Bewohner:innen aufeinander, die alle in der Gewissheit handeln, das jeweils Richtige für ihren Heimatort zu tun.
Bislang verfehlt der Dokumentarfilm, der zuerst auf einigen Festivals gezeigt wurde, seine Wirkung nicht: Erst kürzlich rechtfertigte sich Privatinvestor Wilfried Horst in der lokalen Presse wegen eines im Film kritisierten Bauprojekts. In diesen Tagen schließen sich auf der Insel Rügen kleinere Bürgerinitiativen zusammen, um gegen neue Bauvorhaben wie den gigantischen Ferienpark „Baltic Island Eco Resort“ mit 2.300 Betten bei Dranske mobilzumachen.
Die Zeit der Standhaften scheint angebrochen. Dazu passt die Szene mit Bernd Elgeti, einem der Köpfe der Göhrener Bürgerinitiative. Im Film erinnert er sich an die Worte eines Immobilienunternehmers Anfang der Neunziger: „Hier bleibt nichts übrig. Nur die, die standhaft sind.“
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