piwik no script img

Doku „Berlin Utopiekadaver“Die Freiheit wird geräumt

Wider klischeehafte Zuschreibungen von steinewerfenden Chaoten. Eine Doku über Berlins linke Szene kommt den Menschen ungewöhnlich nahe.

In den Gesprächen wirkt die Szene resigniert Foto: Johannes Thieme/ZDF

In Berlin hat man eigentlich immer das Gefühl, Zeug_in von etwas zu sein, das gerade zu Ende geht. In den letzten Jahren konnte man beobachten, wie immer mehr (Frei-)Räume verschwinden, der Immobilienkapitalismus über die Stadt hineinbricht und sie unter sich platt walzt.

Das klingt dramatisch. Ist es auch. In der Doku „Berlin Utopiekadaver“, ein Porträt der linksautonomen Szene in der Haupstadt, ist wenig Raum für Hoffnung. Denn in einem relativ kurzen Zeitraum wurde ein selbstverwalteter Ort nach dem anderen geräumt: die Liebig34, die Potse, der Köpi, die Meuterei oder das Syndikat.

Hinter den süßen Spitznamen verstecken sich linke Bars und Wagenplätze, Hausprojekte und Jugendclubs. Das seien „Orte, die zeigen, dass was anderes möglich ist. Orte außerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik“, wie eine Bewohnerin des besetzen Hauses Liebig34 es beschreibt.

In der Berichterstattung werden die Menschen, die hinter diesen Orten stehen, oft als gewaltbereite Chaot_innen gezeichnet. Als Menschen, die Häuser besetzen, weil sie keine Lust haben zu arbeiten und eigentlich den ganzen Tag nur saufen und Steine werfen wollen. Diesem Bild setzt Filmemacher Johannes Blume etwas dagegen.

Die Doku

„Berlin Utopiekadaver“ in der ZDF-Mediathek

Polizei ohne Stimme

In seiner Doku, die beim Max-Ophüls-Filmfestival Premiere feierte, verzichtet er auf einen einordnenden Kommentar, auch Polizei und Politik kommen nicht zu Wort.

Die linken Aktivist_innen, Musiker_innen und Schutzsuchenden selbst stehen im Zentrum. Blume ist bei der Räumung des Köpi-Wagenplatzes und bei den letzten Tagen bis zur Schließung des Jugendzentrums Potse dabei, er ist auf Demos und spricht mit den Kollektiven. Er kommt der Szene wirklich ungewöhnlich nah.

Und diese Nähe ist die große Stärke der Doku. Wer im Detail verstehen will, welcher politische Wille und welche Fehlentscheidungen hinter der Räumungswelle stehen, muss auf andere Berichte und Dokus (beispielsweise „Capital B“) zurückgreifen.

Doch wer ein Gefühl dafür bekommen will, was Berlin in den letzten Jahren alles verloren hat und wie wenig die Stadt dafür gekämpft hat, wichtige und alternative Rückzugsorte zu erhalten, bekommt das ganze Ausmaß der Misere zu sehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich habe mir die Doku angesehen und ihre Schwäche ist, dass die Aussagen der Protagonisten nicht recherchiert scheinen. So erwähnt jemand bei Minute 54, dass am Ort des Køpi - Wagenplatzes vom Investor ein Yachthafen geplant ist. Der Protagonist betont, wie absurd das ist, aber man findet im Netzt keinen einzien Artikel dazu dabei wäre das ein gefundenes Fressen gewesen. Die Potse 180 landet in der filmischen Erzählung in Tempelhof und es wird suggeriert, dort wäre Endstation in der Walachei, kein Wort von dem geplanten Bezug der Potse 134-138. Und wen Protagonistinnen sich beklagen, angesichts einer zukünftigen Räumung keinen Safe Space mehr als offenes Gästezimmer in der Liebig anbiten zu können, fragt man sich, wieso zieht ihr das nicht bis zum Schluß durch? Man spürt schon was von der Bubble, in der die Leute sich bewegen. Trotzdem sehenswert!

  • "Orte außerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik" - Einer der zentralen Irrtümer: Diese Orte wären ohne Kapitalismus nie möglich gewesen. Sie waren nicht selbstgeschaffen sondern okkupiert und wären ohne permanenten äußeren Zustrom von Ressourcen auch nicht erhalten worden.

    • @Samvim:

      Da ja auch ein Bettler "ohne permanenten äußeren Zustrom von Ressourcen" nicht leben kann, ist er demnach auch Teil des kapitalistischen Systems?

      • @celcon52:

        Selbstverständlich lebt ein Betler hauptsächlich von dem, was Menschen innerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik ihnen geben.

      • @celcon52:

        So wie wir alle.

  • Gerne würde ich mir diesen Film einmal anschauen. Wäre natürlich informativ gewesen, wenn der Artikel verraten hätte, wo das möglich ist.

    • @AusBerlin:

      In der ZDF Mediathek

  • Letzten Endes passiert in Berlin das, was in anderen deutschen Städten schon Jahrzehnte früher passiert ist :(