: Doch kein Krawallmacher
Justiz Die Staatsanwaltschaft warf Tim H. vor, einen Beamten als „Nazischwein“ beschimpft zu haben. Nach sechs Jahren muss sie alle Vorwürfe fallen lassen
aus Dresden Michael Bartsch
Am Ende kommt es vor dem Gebäude des Sächsischen Oberlandesgerichtes in Dresden noch zu einem versöhnlichen Händedruck zwischen Staatsanwalt Stefan Henke und dem nun nicht mehr Angeklagten Tim H. aus Berlin. Der gibt ihm sogar gute Wünsche mit. „Auch gut, dass das alles nun vorüber ist“, war es dem Staatsanwalt zuvor schon herausgerutscht.
Nach nur 48 Minuten Verhandlungsdauer verwarf das Oberlandesgericht am Montag die Revision gegen den vierzigjährigen Tim H. Es war das vierte Verfahren, in dem sich der Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle der Linken wegen Landfriedensbruchs und angeblicher Rädelsführerschaft bei den Krawallen um den Naziaufmarsch in Dresden im Februar 2011 verantworten musste. Nun ist er endgültig rehabilitiert.
Der Missbrauch des Dresdner Zerstörungsgedenkens durch Tausende Rechte aus ganz Europa provozierte seit 2008 auch massive Gegendemonstrationen. Die Verwüstungen vom 19. Februar 2011 durch Linksautonome waren erheblich, beförderten aber auch einen Konsens in der Stadt, die über den Umgang mit den Rechten zerstritten war. In den Folgejahren gelang nach und nach eine Marginalisierung der Nazi-Kundgebungen.
Tim H. wurde vorgeworfen, per Megafon zum Durchbruch einer Polizeisperre aufgefordert und dabei einen Beamten als „Nazischwein“ beschimpft zu haben. Sein angeblicher Ruf „Kommt nach vorn“ wurde zum Motto einer Solidaritätsbewegung. Im Januar 2013 verurteilte das Amtsgericht Dresden den vermeintlichen Rädelsführer wegen schweren Landfriedensbruchs zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung. Überregionale Proteste und eine Berufung sowohl seitens der Staatsanwaltschaft als auch der Verteidigung waren die Folge, die im Januar 2015 am Landgericht verhandelt wurde.
Der Angeklagte wurde damals vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen, sollte aber 90 Tagessätze zu 45 Euro Geldstrafe wegen Beamtenbeleidigung zahlen. Eine wesentliche Rolle bei der Urteilsfindung spielte die Würdigung der teils willkürlich zusammengeschnittenen Polizeivideos, die Verteidiger Sven Richwin als „manipuliert“ bezeichnete. Auf den Filmen waren mehrere Menschen mit Megafonen zu erkennen, Rufe nicht eindeutig zuzuordnen. Offenbar fiel Tim H. wegen seiner Körpergröße besonders auf.
Die Staatsanwaltschaft aber legte hartnäckig erneut Revision ein und gewinnt. In der nächsten Runde aber wird Tim H. im Januar 2017 erneut freigesprochen. Videos, ein Stimmgutachten und Zeugen können wiederum keine Schuldbeweise erbringen. Auch die Geldstrafe wegen Beleidigung wird fallen gelassen, weil der Strafantrag des Düsseldorfer Polizeipräsidiums, dem die eingesetzten Polizisten unterstellt waren, 2011 nicht fristgerecht einging.
Wenn man am Montag den Staatsanwalt Henke erlebte, fragt man sich, warum die sächsische Generalstaatsanwaltschaft sich auch mit diesem Urteil nicht abfinden wollte. Nach sechs Jahren ist es das letzte schwebende Verfahren gegen mögliche Gewalttäter von 2011, von denen nur sehr wenige bestraft werden konnten. Spektakulär scheiterte der Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wegen ähnlicher Vorwürfe. Das Verfahren gegen Tim H. erregte auch deshalb Aufsehen, weil er in der Bundesgeschäftsstelle der Linken arbeitet. Der Senat des Oberlandesgerichtes machte nun im wahrsten Wortsinn kurzen Prozess.
Schon in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft hatte der Vorsitzende Werner Stotz angedeutet, was er in der Urteilsbegründung wiederholte. Das Landgerichtsurteil aus dem Vorjahr sei „geradezu mustergültig“, Rechtsfehler nicht feststellbar, und Zweifel dürften nicht zulasten des Angeklagten gehen. Tim H. bedankte sich gegenüber der taz bei Unterstützern und Spendern, die rund 10.000 Euro Verfahrenskosten auffingen. Von einer Vorverurteilung, davon, „dass immer etwas hängen bleibt“, habe er glücklicherweise nichts gespürt. Den Ehrgeiz der Dresdner Staatsanwaltschaft bezeichnete er als „politisches Manöver“.
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