Private Akkon-Hochschule: Disziplinierung oder Diskriminierung?
Studierende mit Migrationsgeschichte klagen über das Prüfungsamt der Akkon-Hochschule. Ein Professor schaltet sich ein – am Ende wird ihm gekündigt.
Träger der kleinen, staatlich anerkannten Fachhochschule in Tempelhof mit nur knapp 1.300 Studierenden und rund 70 Mitarbeitenden ist die Johanniter-Unfall-Hilfe. 2018 holte die Akkon Hochschule den kurdischstämmigen Politikwissenschaftler Kenan Engin als Professor für den Studiengang Soziale Arbeit nach Berlin. Damals war er der einzige nichtdeutsche von 17 Professor*innen.
Im Sommer 2023, erzählt Engin, hätten ihm einige Studierende mit Migrationsgeschichte erzählt, dass sie sich von einem bestimmten Mitarbeiter des Prüfungsamts „anders behandelt“, schlecht benotet und aufgrund ihrer Herkunft unfair behandelt fühlten. „Ich habe einige Rückmeldungen von immer den gleichen Leuten mit Migrationsgeschichte bekommen, die Probleme mit ihm haben, das kann kein Zufall sein“, so Engin zur taz. „Meiner Meinung nach hatte das mit dem Migrationshintergrund zu tun.“
Jennifer Jin-Ah Noack ist eine angehende Absolventin, die ebenfalls meist als nicht-deutsch gelesen wird. Seit einem schlimmen Unfall war sie nicht mehr schmerzfrei, was auch das Arbeiten am Computer erschwert. Deshalb beantragte sie bei besagtem Mitarbeiter des Prüfungsamts eine „Prüfungsformanpassung“. Über ein Jahr lang wartete sie auf eine Rückmeldung, dann wurde ihr Antrag abgelehnt. Bei einem Telefonat soll der Mitarbeiter wiederholt ableistische Kommentare gemacht haben.
Keine Entschuldigung
Noack beschwerte sich beim Studiengangsleiter und schaltete den Diversitätsbeauftragten der Universität ein. Der regte eine Entschuldigung des Mitarbeiters an, die jedoch bis heute nicht erfolgt ist. „Ich sollte nochmal einen Antrag schreiben und alles genau beschreiben“, berichtet Noack. „Dass die mich nach meiner konkreten Behinderung fragen, verletzt meine Rechte als behinderte, studierende Person. Das sind intime Informationen und ist retraumatisierend.“
Der Mitarbeiter des Prüfungsamts soll auch Engin gegenüber mehrfach angezweifelt haben, dass Studierende mit Migrationshintergrund eine gute Arbeit wirklich selbst geschrieben hätten. Eine von Professor Engin mit gut benotete Arbeit einer palästinensischen Studentin wurde vom Prüfungsamt sogar kurzerhand für ungültig erklärt.
Engin suchte daraufhin das Gespräch mit dem Mitarbeiter des Prüfungsamts, im Beisein des Diversitätsbeauftragten. Das Gespräch selbst verlief einigermaßen harmonisch, erinnert er sich, aber im September 2023 wurde er dann von der Hochschulleitung zu einem Personalgespräch eingeladen – dem ersten in fünf Jahren.
Dort seien angebliche Pflichtverletzungen thematisiert worden, die Engin hätte besser machen können. Engin thematisierte gegenüber der Hochschulleitung auch die aus seiner Sicht erfolgte Andersbehandlung von internationalen Studierenden und prangerte Racial Profiling an: Menschen mit Migrationshintergrund würden immer etwas falsch machen und könnten keine richtige Arbeit schreiben – und wenn doch, werde ein Plagiat vermutet, kritisierte der Professor.
Es wurde ihm gegenüber kundgetan, dass es keinen Rassismus an der Hochschule gebe oder je gegeben hätte. Professor Engin soll daraufhin mit fristloser Kündigung gedroht und „Betriebsfriedensstörung“ vorgeworfen worden sein. So ist der Gesprächsverlauf in einer Stellungnahme der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) schriftlich festgehalten.
Massiv unter Druck gesetzt
Ein halbes Jahr später, am 15. April 2024, wurde Engin erneut zu einem Personalgespräch geladen. Diesmal hatte die Hochschulleitung einen Aufhebungsvertrag vorbereitet: noch fünf Monate Gehalt, eine Abfindung und ein gutes Zeugnis. Engin soll vom Geschäftsführer und vom Präsidenten Andreas Bock massiv unter Druck gesetzt worden sein, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen.
„Was passiert, wenn der Vertrag nicht angenommen wird?“, zitiert die ADS aus Engins Gesprächsprotokoll. „Offen gesagt: Wir können dich jetzt nicht kündigen, werden dich dann weiterbeschäftigen, aber werden Maßnahmen ergreifen, die dich nicht glücklich machen werden. Das betrifft zum Beispiel die Frage der Studiengangsleitung, wir werden die genannten Punkte abmahnen, zukünftig sehr engmaschig mit Arbeitsanweisungen und entsprechenden Kontrollen arbeiten.“
Engin erinnert sich an eine eisige Stimmung während des Gesprächs, er habe sich in dunkle Zeiten zurückversetzt gefühlt. „Ich habe gesagt, ich möchte weiterhin an der Hochschule arbeiten, weil ich der Meinung bin, dass ich bisher alles richtig gemacht habe“, so Engin, der den Aufhebungsvertrag schließlich nicht annahm.
Daraufhin griff die Hochschulleitung zu den angedrohten Maßnahmen: Engin wurde per E-Mail freigestellt und sollte auf dienstliche Kommunikationen verzichten. Ihm wurde die Studiengangsleitung entzogen, er wurde aus dem Lehrbetrieb herausgenommen und seine Lehrveranstaltungen wurden gestrichen. Dafür sollte er nun täglich seine Arbeitszeiten aufschreiben und dem Präsidenten monatlich vorlegen. Sein dienstlicher E-Mail-Account wurde ihm abgenommen.
„Der einzige Prof, der mir geholfen hat“
Studierende seines Studiengangs starteten daraufhin eine Petition, in der sie seinen Verbleib an der Hochschule fordern. „Über die Jahre hinweg konnte Herr Prof. Dr. Kenan Engin immer wieder zum Ausdruck bringen, wie wichtig wir Studis ihm sind und mit welcher Leidenschaft und Hingebung er seinen Beruf ausübt“, heißt es dort. „Der einzige Prof, der mir geholfen hat, war Herr Engin. Und der sollte jetzt gefeuert werden. Das fand ich halt lächerlich“, beschreibt Jennifer Noack ihre Motivation. Doch trotz Widerstands auch des Betriebsrats wird Engin schließlich am 29. Juli 2024 außerordentlich gekündigt.
Die Hochschule selbst betont in einer schriftlichen Stellungnahme, die Kündigung habe „mit den von Professor Engin erhobenen unberechtigten Vorwürfen rein gar nichts zu tun“. Vielmehr habe sie sich zu der Kündigung gezwungen gesehen, „da er wiederholt und in erheblichem Umfang gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat“. Welche genau, bleibt allerdings unklar. Für das Scheitern einer einvernehmlichen Lösung macht die Hochschule allein Kenan Engin verantwortlich.
Der wehrt sich mit einer öffentlichen Stellungnahme. Die Vorwürfe gegen ihn entbehrten jeder Grundlage, schrieb Engin am 15. November 2024. „Es ist bedauerlich, dass die Hochschule in ihrer Erklärung nicht auf die im öffentlichen Raum geäußerten Anschuldigungen in Bezug auf Rassismus, Diskriminierung und Mobbing eingegangen ist“, so Engin, der eine Untersuchung durch eine neutrale, öffentliche Stelle fordert.
Der Fall beginnt, Wellen zu schlagen. Über 1.300 internationale Wissenschaftler*innen unterzeichneten eine weitere Petition gegen die Maßnahmen der Hochschule. Politiker*innen der Linken und Grünen wendeten sich an den Berliner Senat, diverse Medien berichteten über den Fall. Die Akkon Hochschule ging dagegen mit Unterlassungsklagen vor, teils erfolgreich.
Eine weitere Petition vom April dieses Jahres verlangt ebenfalls eine unabhängige Untersuchung zur transparenten Aufklärung der Vorwürfe. Doch die Hochschule hat lediglich eine Kanzlei beauftragt, um die Diskriminierungsvorwürfe zu prüfen. Das Ergebnis: Die Anwält*innen können keinen Anfangsverdacht hinsichtlich der Diskriminierung von Studierenden erkennen. Allerdings haben sie weder mit den Studierenden noch mit Professor Engin gesprochen.
Keine gute Werbung
Für die Hochschule ist die Affäre keine gute Werbung. Mehrere Mitarbeiter*innen sollen bereits gekündigt haben. Nun sind die Gerichte dran: Am 11. Juni werden ganze sieben Kündigungen der Hochschule gegen Engin verhandelt. Engin hat seinerseits die Hochschule wegen Rassismus, Diskriminierung, Mobbing, Rufschädigung und Verletzung der Persönlichkeitsrechte auf 80.000 Euro verklagt.
„Im Grunde genommen könnte ich sagen, mir ist alles egal“, schildert Engin seine Lage. „Aber das möchte ich nicht, denn man kann Menschen nicht so behandeln.“ Über solch ein Verhalten einer Hochschule sollte diskutiert werden, findet er. Und hofft, dass die Hochschule sich doch noch einsichtig zeigt und eine unabhängige Untersuchung durchführt. „Es geht mir um Gerechtigkeit und dass man Gesicht gegen ungerechte Behandlung zeigt.“
Jennifer Noack wirft der Hochschule Tokenismus vor, also dass Menschen mit Migrationsgeschichte dort lediglich eine Alibifunktion haben, um Kritik an diskriminierenden Machtverhältnissen abzuwehren. „Ich fände wichtig, dass sie lernen, was wirkliche Diversität ist“, sagt sie. „Im Gleichstellungsamt sollte eine Person sitzen, die tatsächlich Erfahrung mit Diskriminierung oder Behinderung hat, und nicht ein weiterer alter weißer Mann.“
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