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Diskussion um NS-Jurist als NamensgeberEin Held und Schreibtischtäter

Die CDU in Osnabrück will das „Friedenslabor“ des Museumsquartiers nach Hans Georg Calmeyer benennen. Nun wurde eine Chance vertan, das zu verhindern.

Juden stehen in Westerbork in den Niederlanden an einem Zug, der sie nach Auschwitz deportiert Foto: Archiv

Osnabrück taz | Städte brauchen namhafte Bürger, sie sind gut fürs Marketing. Ist die Auswahl zu klein, hilft man nach. Auch Osnabrück weiß, wie das geht. Für „menschliche Größe“ hat die niedersächsische Stadt Hans Georg Calmeyer, seit 1972 tot, eine Medaille verliehen. Auch einen Platz hat sie nach ihm benannt. Das Problem: Der Mann ist belastet. Wenn ein Wort auf ihn passt, dann: Ambivalenz. Also redet man sich die Sache schön.

Ja, der Osnabrücker Jurist, von März 1941 bis September 1944 hochrangiger NS-Verwaltungsbeamter in Den Haag, hat Juden in die Vernichtung deportiert, hat dem Deutschen Reich niederländische Zwangsarbeiter zugeführt. Aber hat er nicht auch Juden vor dem KZ bewahrt? Die Folge: Osnabrück adelt Calmeyer zum Widerstandskämpfer. Fehlt nur noch die richtige Bühne für ihn.

Geht es nach Osnabrücks CDU, ist das die „Villa Schlikker“ des Museumsquartiers Osnabrück (MQ4), in der 2023 ein „Friedenslabor“ seine Arbeit aufnimmt, als „Geschichts-Lernort“. Sie hat einen Ratsbeschluss initiiert, sie „im Sinne eines 'Hans-Calmeyer-Hauses’“ zu entwickeln.

Dass es wie eine Verhöhnung der Opfer wirken würde, stünde direkt neben dem Felix-Nussbaum-Haus des MQ4, das einen 1944 in Auschwitz getöteten jüdischen Maler der Neuen Sachlichkeit ehrt, ein Haus, das den Name eines Mittäters der Shoa trägt? Dass das aussähe wie eine Ehrung, auch wenn die Dauerausstellung des „Labors“ vorsieht, Calmeyers Handeln in all seiner Widersprüchlichkeit zu zeigen? Egal, offenbar.

Unfrieden in der Friedensstadt

Calmeyer sei eine „Schattenperson“, war auf dem zweitägigen Symposion „Formen und Dimensionen der Resilienz unter deutscher Besatzung 1939–1945“ zu hören, Ende letzter Woche durch den Beirat ausgerichtet, der das Konzept des „Labors“ erarbeitet. Es sollte den Forschungsstand spiegeln, Entscheidungshilfe für eine Namensalternative sein.

Wissenschaftlich hat das auch funktioniert. Aber in der Zuhörerschaft saßen Calmeyer-Verehrer, Anhänger einer gestrigen Erinnerungskultur, der Langmut der Moderatoren gab ihnen Agi­tationsraum, und ihre Schulterschlüsse waren demonstrativ. Die Stimmung war gewittrig, hitzig, teils handkantenhart. Auch Calmeyer-Kritiker kamen zu Wort, aber von ihnen focht jeder für sich allein.

Die niederländische Historikerin Els van Diggele, Teilnehmende am Vortragsprogramm und Autorin von „Das Rätsel der Femma. Opfer eines Menschenretters“, wird von Sven Jürgensen, dem Pressechef der Stadt, für ihre ergreifende, moralappellative Calmeyer-Kritik rüde der Oberflächlichkeit bezichtigt – ein höchst unfriedlicher Moment im Ratssitzungsaal einer Stadt, die sich Friedensstadt nennt.

Osnabrücks ehemaliger Oberbürgermeister Hans-Jürgen Fip okkupiert, obwohl nur Zuhörer, Zeit für ein langatmiges Korreferat über seine Calmeyer-Ehrung aus den 1990ern – wofür Jürgensen ihn als „genial“ heiligt.

Aber das war nicht das Schlimmste. Worauf alle gewartet hatten, die Vorstellung einer Namensalternative durch den Beirat nach dem Symposion, blieb aus. Die Calmeyer-Verehrer hatten vergeblich gebangt, die Calmeyer-Kritiker vergeblich gehofft: Kein Votum gegen die Benennung nach Calmeyer.

Worauf alle gewartet hatten, die Vorstellung einer Namensalternative durch den Beirat, blieb aus. Die Calmeyer-Verehrer hatten vergeblich gebangt, die Calmeyer-Kritiker vergeblich gehofft

Obwohl der Beirats-Vorsitzende Alfons Kenkmann, Geschichtsdidaktiker und Professor des Historischen Seminars der Universität Leipzig, dem Ratsbeschluss nichts abgewinnen kann. Ebenso wie Osnabrücks Kulturdezernent Wolfgang Beckermann. Ebenso wie MQ4-Direktor Nils-Arne Kässens. Entschieden wurde: nichts.

Der Beirat habe nicht „vorschnell“ handeln wollen, sagt Kässens der taz. Es gebe aber einen „Konsens“, dass die Benennung „den verschiedenen Perspektiven auf Calmeyer Rechnung tragen sollte“. Vorschnell? Auch Gespaltenheit zeigt sich hier, nicht nur Sorgfaltswille. Die Nicht-Entscheidung verlängert einen hoch emotionalen, stark eskalativen Richtungsstreit.

Das Symposion habe gezeigt, sagt Kässens, „dass eindeutige Einordnungen des Handelns von Calmeyer in die Kategorien Täter/Retter wissenschaftlich nicht haltbar und didaktisch unergiebig sind“. Immerhin. Auch Beckermann wertet es als „sehr zielführend“, ist froh, dass es „ganz bewusst keine Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltung“ war. Man könne aus ihm, auch für die Namensge­bung, „viel mitnehmen“. Wie peinlich beiden das Nicht-Votum ist, ist deutlich zu spüren.

Die Fraktion der Calmeyer-Promoter im Beirat ist stark. Der Osnabrücker CDU-MdB Matthias Middelberg gehört dazu, Jurist und Calmeyer-Forscher. Als er lautstark einen Mitdiskutanten mundtot machen will, der sagt, wissenschaftlich seien zu Calmeyer noch Fragen offen, rügt ihn Kenkmann hart: „Unglaublich!“ Auch Joachim Castan, einer der Köpfe der Osnabrücker „Hans Calmeyer-Initiative“ die ihren Namensgeber als „leuchtendes Beispiel“ bewundert, ist Teil dieser Fraktion – und für wütende Querschüsse bekannt.

„Deutsche Arroganz“

„Die wollen hier einen Helden und verdrängen dafür das Negative!“, sagt der niederländische Soziologe Martin Sijes, auch er Zuhörer, der taz. „Das übersieht die Opfer. Das ist deutsche Arroganz.“ Werde das Haus nach Calmeyer benannt, sagt Sijes, werde das „Widerstand finden“.

Der Amsterdamer Philosphieprofessor Johannes Max von Op­huijsen, Teilnehmer des Schlusspodiums, sieht das ähnlich: „Das Problem hier ist die Politik“, sagt er der taz. Benenne die Stadt die Villa, Osnabrücks einstiges NSDAP-Hauptquartier, nach NS-Rassereferent Calmeyer, habe sie jedes Recht verwirkt, sich „Friedensstadt“ zu nennen.

Auch ILEX, eine Gruppe Osnabrücker NS-Lokalforscher, ist ernüchtert durch die Unfähigkeit des Beirats, den Namensknoten endlich zu durchschlagen. Man sage „ausdrücklich ‚Nein!‘ zu Bestrebungen, die Villa – etwa auch aus Marketinggründen – nach Calmeyer zu benennen“. Es gebe „noch viele Fragen“, zu Calmeyer, Hitler-Putsch und Schwarze Reichswehr inklusive.

Und Kenkmann, der „bei sich und anderen einen Ermüdungsbruch in der polarisierten Debatte“ ausmacht? Er sieht, trotz aller Reibungen zwischen der lokalen Geschichtspolitik und Teilen der Wissenschaft, Licht am Ende des Tunnels: „Wir werden noch vor Weihnachten einen Namensvorschlag präsentieren“, sagt er der taz. „Und zum ersten Mal habe ich die Hoffnung, dass das konsensual erfolgt.“

Dann hat das Symposion ja doch was bewirkt.

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1 Kommentar

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  • Ich habe mir mal den Artikel von 2019 über Calmeyer angesehen.



    Da wird ihm tatsächlich angekreidet, daß er "nur" 65 Prozent der Anträge, die die Rettung bedeuteten, bewilligt habe. Dabei wird sogar eingeräumt, daß diese hohe Bewilligungsrate sogar bei der SS auffiel und eine Überprüfung seiner Amtsführung nur durch den Kriegsverlauf nicht stattfand.



    Moralisch richtiger wäre es also nach seinen Kritikern gewesen, 100 Prozent aller Anträge zu bewilligen.



    Das wäre natürlich viel eher aufgefallen und von der SS unterbunden worden. Dann wären viel weniger Menschen gerettet worden, aber Hauptsache die heutigen Moralapostel wären zufrieden und müßten Calmeyer nicht als "äquivalent" bezeichnen.