Diskussion um Flucht und Migration: Eine Europäische Verantwortung
Innenministerin Faeser erwägt Kontrollen zu Polen und Tschechien. Wirtschaftsminister Habeck ist für ein Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern.
Weil die Zahl der Migranten, die über Polen und Tschechien nach Deutschland einreisen, gestiegen war, wurden Forderungen nach stationären Grenzkontrollen zu diesen beiden Ländern zuletzt immer lauter. Stationäre Kontrollen gibt es seit der großen Fluchtbewegung nur an der deutsch-österreichischen Grenze. Eine Ausweitung hatte Faeser zunächst abgelehnt, unter anderem mit dem Argument, dass zahlreiche Menschen zur Arbeit über diese Grenzen pendeln. Stattdessen hatte Faeser eine Ausweitung der Schleierfahndung im Grenzgebiet angeordnet.
Faeser betonte auch jetzt: „Man sollte aber nicht suggerieren, dass keine Asylbewerber mehr kommen, sobald es stationäre Grenzkontrollen gibt.“ Wenn eine Person an der Grenze um Asyl bitte, müsse der Asylantrag in Deutschland geprüft werden.
Eine weitere Maßnahme seien Kontrollen schon in den Nachbarstaaten, ergänzte Faeser. Mit der Schweiz gebe es bereits eine hervorragende Zusammenarbeit. Bundespolizisten dürften dort in enger Abstimmung mit Schweizer Polizeikräften auf Schweizer Staatsgebiet kontrollieren und unerlaubte Einreisen verhindern. „Ähnliches könnte es mit Tschechien geben. Die Absprachen dazu laufen bereits“, sagte Faeser.
Von Seiten der Polizei erhält Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Zuspruch für ihren Kurswechsel beim Thema Grenzkontrollen. „Unser Hauptaugenmerk muss auf der Bekämpfung der bandenmäßigen Schleuserkriminalität liegen, das ist der Schlüssel zur Eindämmung illegaler Migration“, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, am Samstag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Habeck für Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat sich in der Debatte um den Zuzug von Migranten für Abkommen mit den Herkunfts- und Transitländern ausgesprochen. „Und Transit- oder Migrationsabkommen bedeutet aber, diesen Ländern auch etwas zu geben“, sagte Habeck am Samstag auf einem Grünen-Landesparteitag im schleswig-holsteinischen Neumünster. Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass diesen Ländern – nach dem Motto „Geld gegen Gewalt“ – die Menschen mit totaler Gewalt zurückführten.
Stattdessen gehe es darum, für Anreize zu sorgen, die durchreisenden Menschen zu halten, sagte Habeck. Anschließend könnten Menschen aus diesen Ländern gesteuert nach Europa und nach Deutschland geholt werden. Viele „wilde Vorschläge“ in der aktuellen Debatte seien hingegen nur geeignet, die nächste Enttäuschung der Menschen hervorzurufen, sagte Habeck, der auch Vizekanzler ist.
Habeck mahnte Ehrlichkeit in der Flüchtlingspolitik an. Hilfreich wäre nach seinen Worten ein verbindliches Verteilsystem nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. „Es wäre eine sinnvolle Aufgabe, in Europa, dafür zu streiten und zu reden und nicht so zu tun, als ob man das Problem mit populistischen Parolen lösen könnte.“
„Was wir machen müssen, sind konkrete Maßnahmen, die den Menschen helfen, den Kommunen helfen, die insgesamt dem politischen System helfen“, sagte Habeck. Hohle Sprüche und Phrasen würden nicht weiter helfen. Die Zustände an den EU-Außengrenzen seien nicht gut, sagte er mit Verweis auf den Tod von Menschen im Mittelmeer sowie auf Lesbos und Lampedusa. „Es ist eine Katastrophe, eine moralische und ethische Katastrophe, was wir im Moment erleben.“
Papst mahnt Europa zur Aufnahme und Integration
Papst Franziskus hat mit Blick auf die Migration von Afrika über das Mittelmeer nach Europa vor Abschottung und Panikmache gewarnt. Es müssten reguläre Einreisemöglichkeiten und eine ausgewogene Aufnahme der Migranten in Europa gewährleistet werden, sagte der Pontifex am Samstag im südfranzösischen Marseille. Bei der Migration handele es sich weder um eine Invasion noch um eine Notsituation, sondern um eine Gegebenheit unserer Zeit, die in europäischer Verantwortung angegangen werden müsse.
„Das mare nostrum schreit nach Gerechtigkeit, denn an seinen Ufern herrschen auf der einen Seite Überfluss, Konsum und Verschwendung, auf der anderen Seite hingegen Armut und Prekarität“, sagte Franziskus zum Abschluss eines Jugendtreffens mit Teilnehmern aus 29 Ländern des Mittelmeerraums. Natürlich seien die Schwierigkeiten bei der Aufnahme der Migranten nicht zu übersehen. „Aber das Hauptkriterium kann nicht der Erhalt des eigenen Wohlstandes sein, sondern vielmehr die Wahrung der Menschenwürde.“
Die Zukunft liege nicht in der Abschottung. „Zu sagen ‚genug‘, bedeutet hingegen die Augen zu verschließen; der Versuch, sich heute „selbst zu retten“, wird sich morgen in eine Tragödie verwandeln“, mahnte das Kirchenoberhaupt. „Künftige Generationen werden uns danken, wenn es uns gelungen ist, die Bedingungen für eine unvermeidliche Integration zu schaffen, während sie uns die Schuld geben werden, wenn wir lediglich eine sterile Assimilation betrieben haben.“
Integration sei mühsam, aber eine weitsichtige Vorbereitung auf die Zukunft, sagte Franziskus. „Assimilation, die keine Rücksicht auf Unterschiede nimmt und starr in ihren eigenen Paradigmen verharrt, führt dagegen dazu, dass die Idee die Wirklichkeit beherrscht und sie gefährdet die Zukunft, indem sie die Distanzen vergrößert und eine Ghettoisierung provoziert, die Feindseligkeit und Unduldsamkeit hervorruft“.
Bei seinem Besuch in Marseille hat der Papst das Thema Migration in den Vordergrund gerückt. Am Nachmittag wird eine Messe vor knapp 60 000 Menschen halten. Zu dem Gottesdienst wird auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erwartet, der sich zuvor mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche zu einem Gespräch traf.
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