Diskussion um Boykott israelischer Waren: Das Südfruchtdilemma
Ist der Boykott israelischer Avocados okay? Nein, da ist man sich im Leipziger Club „Conne Island“ sicher. Bei anderem einigt man sich auf Uneinigkeit.
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„Na, das hier wolltest du dir auch nicht entgehen lassen, oder?“, sagt einer. Nein, das wollten sie und viele andere nicht. Das Publikum im „Conne Island“ ist für gewöhnlich überwiegend antideutsch – sprich: solidarisch mit dem israelischen Staat. Die Veranstaltung „Die Realität ist grau – Deutsche Linke zwischen BDS und Israelsolidarität“ am Dienstagabend ist ein entsprechender Publikumsmagnet.
BDS, das steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen, will heißen: Konsumverweigerung gegen die israelische Siedlungspolitik. Drinnen ist es dunkel, Kronkorken purzeln auf den Boden, Zigaretten werden gedreht, Schuhe ausgezogen. Man sieht viele kurz geschnittene Ponys und Pullover, die Solidarität mit Israel bekunden.
Marvin Alster vom „Conne Island“ sitzt gemeinsam mit Referent Hannes Bode an einem Tisch mit weinroter Decke, der über und über mit Papier bedeckt ist, erinnert sich an den Beginn der 2000er, als während der Zweiten Intifada beschlossen wurde, dass Besucher des Clubs ihr Palästinensertuch ablegen müssen. Und dass jetzt, seit nunmehr drei Jahren, die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Initiative besonders unter Akademikern und Künstlern immer größeren Anklang findet.
Mehr arabischen Antisemitismus sehen Veranstalter nicht
Auch Künstler, die im „Conne Island“ aufgetreten sind, hätten sich mit BDS solidarisiert – da wolle man gegensteuern. Einen Zusammenhang zwischen dieser Veranstaltung und dem offenen Brief, den der Club vor zwei Wochen herausgegeben hat, gebe es nicht, sagt Alster. Mehr Sexismus durch junge geflüchtete Männer hatte das linke Kulturzentrum darin beklagt. Mit mehr arabischem Antisemitismus sehen sich die Veranstalter hingegen nicht konfrontiert.
Referent Hannes Bode, Historiker und Islamwissenschaftler, macht schon zu Beginn klar: „Es braucht ein historisches Fundament, um über das Thema BDS zu reden, und ich habe den Eindruck, dass dieses bei vielen heutzutage fehlt“, sagt er. Später wird er noch hinzufügen: „Die Israelsolidarität hat sich in den vergangenen 15 Jahren nicht theoretisch, sondern nur ideologisch weiterentwickelt.“ Was das genau bedeutet, bleibt schwammig.
Eine tatsächliche Auseinandersetzung über BDS, wegen der viele gekommen sind, ist schwer möglich, weil Bodes historische Analyse fast die komplette Zeit füllt. Es gehe um mehr, sagt Bode, als seine Solidarität mit Israel nur „identitätspolitisch abzufeiern“. Dann beginnt er ein historischen Rundumschlag von der Aufklärung bis zum modernen Antisemitismus.
Das frustriert so manchen. „Nach deinem zweistündigen Monolog weiß ich aber immer noch nicht, ob ich nun Avocados aus Israel kaufen soll oder nicht“, sagt ein Besucher, „deine Historisierung lenkt davon ab, dass es hier um konkrete Sachen geht.“
Historiker Hannes Bode
Bode widerspricht: „Der Verkauf von Avocados in Leipzig ist für Israels Bestehen irrelevant.“ Ein anderer steht auf: „Wir im ‚Conne Island‘ können vielleicht feingeistig zwischen verschiedenen Positionen differenzieren. Aber in der Region wollen doch die meisten die Juden vernichten. Antisemitismus zielt immer auf Vernichtung.“
Diskussionen nach dem Motto „Im Nahen Osten wollen alle die Juden vernichten“, „Nein, wollen sie nicht“, „Doch, glaube ich aber schon“ bringen natürlich wenig. Wahrscheinlich hätten ein paar Fakten geholfen; vielversprechend ist im Hintergrund eine Leinwand aufgebaut, die aber nicht genutzt wird. Immerhin wird wiederholt betont, dass man differenzieren müsse, dass beide Narrative ihre Berechtigung haben – und dass es Israel nichts bringt, wenn irgendwo weit weg Antideutsche ihre Solidarität identitätspolitisch abfeiern und Fahnen schwenken.
Allzu sehr differenziert wurde dann aber doch nicht immer. Eine junge Frau berichtet von Drohungen durch Leipziger BDS-Unterstützer. Das bügelt Bode ab; wenn BDS-Aktivisten mit Prügel drohten, müsse man eben schneller sein und eher draufhauen. Ihm gehe es vor allem darum, nicht immer automatisch die andere Seite auszuschließen: „Nur weil Israel eine rechte Regierung hat, macht es die Existenz des Staates nicht illegitim.“
Ein Besucher
Und: „Das Narrativ des perspektivlosen Jugendlichen aus Hebron, der unter Besatzung aufwächst, ist genauso berechtigt wie das des israelischen Soldaten, der permanent Attacken fürchten muss.“ Es gehe darum – und darauf konnten sich dann auch wohl alle einigen – Widersprüche zuzulassen. Und sie auszuhalten.
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