Diskussion über Ampelkoalition im Bund: Spiel mit Risiko
Die Diskussion über mögliche Koalitionen ist eröffnet. Die SPD wittert Morgenluft, die FDP stellt klar, dass es mit ihr keinen Linksruck geben wird.
Nach den beiden Landtagswahlen im Südwesten wittert die SPD auch auf Bundesebene wieder Morgenluft. Olaf Scholz sieht bereits „die Möglichkeit, eine sozialdemokratisch geführte Regierung zu bilden“. Sein demonstrativer Optimismus verdankt sich vor allem dem Wahlerfolg Malu Dreyers, die in Rheinland-Pfalz trotz leichter Verluste für ihre Partei weiter gemeinsam mit den Grünen und der FDP regieren kann. Doch selbst aus dem historisch schlechten Abschneiden der SPD in Baden-Württemberg schöpft er noch Hoffnung, schließlich sei auch im Ländle eine Ampelkoalition möglich. „Sichtbar geworden ist, dass es Mehrheiten gibt ohne die Union“, sagte er. Dafür gebe es mehrere Optionen. „Eine ist jetzt sehr stark geworden.“
Auch Grünen-Chef Robert Habeck sieht die Ampel im Bund als eine „denkbare Konstellation“ – neben anderen. „Alles ist möglich in diesem Jahr“, sagte er am Montag in der Bundespressekonferenz. Trotz dieser vorsichtigen Einschätzung kommt ihm die Debatte sehr gelegen. Denn damit bekommen die Grünen die für sie unangenehme Schwarz-Grün-Diskussion vom Hals, ohne sich zu einem rot-rot-grünen Bündnis als mögliche Alternative bekennen zu müssen. Mit allen Mitteln wollen sie einen Lagerwahlkampf verhindern.
Die Grünen ziehen mit dem großmäuligen Versprechen in den Wahlkampf, der Union das Kanzleramt streitig machen zu wollen. Dass sie trotz ihrer starken Zugewinne sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz aber tatsächlich CDU und CSU im Bund überholen, ist unwahrscheinlich. Die Ampel bietet den Grünen nun die Chance, ihr Narrativ vom Kanzleramt aufrechtzuerhalten.
Was passieren würde, wenn sowohl Schwarz-Grün als auch die Ampel im Bund rechnerisch eine Mehrheit hätte? Dann, schwören gut vernetzte Grüne, würde man sich selbstverständlich für die Ampel entscheiden. „Wir wären ja verrückt, wenn wir uns nicht fürs Kanzleramt entscheiden würden.“
Unüberbrückbare Vorstellungen
Wobei die Euphorie über die Ampel verkennt, dass zwischen Grünen und FDP Welten liegen, wenn man ihre Programme ernst nimmt – selbst in Baden-Württemberg. Der dortige FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke preist unablässig und ausgiebig den Verbrennungsmotor, während der Grüne Winfried Kretschmann die Eindämmung der Klimakrise als zentrales Ziel benennt. Im Bund wären die Unterschiede noch größer.
Nicht nur in ökologischen, sondern auch in sozialen, wirtschafts- und steuerpolitischen Fragen sind Grüne und FDP Antipoden. Die einen wollen die Vermögensteuer, den Abschied von Hartz IV oder härtere Auflagen für Unternehmen, die anderen stemmen sich dagegen. Die Ampel ist in der Theorie eine interessante Idee, in der Praxis krankt sie an vielen Widersprüchen. Das ist auch das Problem für die SPD, die ohnehin mit dem einstigen Agenda-2010-Propagandisten Scholz als Kanzlerkandidaten ein sozialpolitisches Glaubwürdigkeitsproblem haben.
Aber auch für die FDP sind Spekulationen über eine Ampel nach der Bundestagswahl nicht risikolos. Auf der einen Seite steigert es ihre Relevanz, umworben zu werden. Auf der anderen Seite muss sie aufpassen, dass sie bei ihrer Wähler:innenschaft nicht in Verdacht gerät, bloße Mehrheitsbeschafferin für Rot-Grün zu sein – zumal die Grünen mit ihrem Stigma als vermeintliche Verbotspartei eigentlich der Lieblingsgegner der Liberalen sind.
Welche Gefahr der FDP droht, zeigen die bisherigen Ampelkoalitionen in den 1990er Jahren in Brandenburg und Bremen. FDP-Chef Christian Lindner erinnerte am Wahlabend an diese Desaster: „Bei allen historischen Ampelkonstellationen hat die FDP danach verloren und den Landtag verlassen.“ Mit der Wahl in Rheinland-Pfalz sei nun zum ersten Mal in der Geschichte der Liberalen eine Ampelkoalition bestätigt worden, betonte er. Allerdings büßte die FDP auch hier Stimmen ein und schaffte mit 5,5 Prozent nur knapp den Wiedereinzug in den Landtag.
So wollte Lindner in der Bundespressekonferenz am Montag auch keine allzu großen Hoffnungen auf eine Ampel im Bund machen. „Der Kurs der Eigenständigkeit der FDP hat sich bewährt“, sagte er da. Die Worte „Eigenständigkeit“, „Unabhängigkeit“ und „auf Inhalte setzen“ nahm er oft in den Mund. Die FDP will keine zu frühen Farbenspiele – das ist seine Message.
Lindner weiß genau: Die Diskussion um die Ampel nutzt der FDP, aber kann ihr eben auch schaden. Also sendet er ambivalente Botschaften: Einerseits lässt er ein Hintertürchen offen für Gespräche und Inhalte. Anderseits verkündet er, SPD und Grüne hätten „eine Nähe zur Linken“ und fänden „nur Spurenelemente der FDP-Politik gut“. Lindner will keinen Zweifel daran lassen, dass seine Präferenz weiter klar bei der Union liegt – trotz deren „Ambitionslosigkeit“.
Doch in der FDP gibt es eine Rollenverteilung. Für das Blinzeln in Richtung Ampel ist bei ihr Generalsekretär Volker Wissing zuständig, derzeit noch stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister im Ampelland Rheinland-Pfalz. „Wir sehen unseren eigenständigen Kurs bestätigt, haben eines der besten Ergebnisse der letzten Jahrzehnte in Baden-Württemberg erreicht und zum ersten Mal eine Ampelkoalition erfolgreich verteidigt“, sagte Wissing der taz. „Die Ampel haben wir uns in Rheinland-Pfalz erarbeitet durch diszipliniertes und konstruktives Regieren.“
Tatsächlich hat die ungewohnte Koalition nach einigen Anlaufschwierigkeiten ganz ordentlich geklappt. Wie diese Ampel blinkt, war bei der großen TV-Debatte zwei Tage vor der Wahl zu sehen. Die SPDlerin Dreyer, die Grüne Anne Spiegel und FDP-Frontfrau Daniela Schmitt wirkten wie eine Einheit. Sie spielten sich die Bälle zu.
„Malu“ hatte ihr Markenzeichen, den knallroten Hosenanzug, gegen einen blauen Zweiteiler getauscht. Auch ihre Regierungskolleginnen traten blau in blau auf. Auch sonst demonstrierten sie Geschlossenheit: Die geplante Rheinbrücke im Mittelrheintal, lange von den Grünen bekämpft? „Die Brücke wird gebaut“, versicherten unisono Dreyer und Schmitt, ohne dass Spiegel widersprach.
Dafür vermied Schmitt jede Festlegung gegen das Versprechen von Grünen und SPD, in der nächsten Legislatur in Sachen Klimaschutz einen Zahn zuzulegen. Schmitt wird wohl als Nachfolgerin Wissings neue Wirtschaftsministerin. In fünf Jahren habe die Koalition bewiesen, „ökologische und ökonomische Ziele müssen kein Gegensatz sein“, sagte sie und nannte als Beispiel, dass sowohl neue Radwege als auch neue Straßen gebaut worden seien.
Auch im Bund hält Volker Wissing eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen grundsätzlich für denkbar – wenn auch nur unter klaren Bedingungen: „Aber wenn sie eine Vermögensteuer einführen möchten und eine Bürgerversicherung – das wird mit der FDP nicht gehen.“ Für seine Partei seien „Inhalte entscheidend, keine Farbenspiele“.
Wissing versucht, die FDP als ausgleichenden Pol zwischen Union und Rot-Grün zu positionieren: „Es gibt in der Wählerschaft eine Skepsis gegenüber linken Parteien, weil sie zu Kollektivierung neigen, aber der Konservatismus der CDU ist unsere Sache auch nicht“, erklärt er.
Die Christdemokrat:innen seien immer ein „Schutzwall gegen einen zu starken Linksruck“ und eine „Überlast der Kollektivierungssehnsüchte linker Parteien“ – das sei den Liberalen sympathisch. „Aber gleichzeitig ist dieser Tanker CDU für Liberale auch anstrengend.“ Die Union sei „sehr behäbig und hat das Land in eine gewisse Rückständigkeit geführt“. Es fehlten Wandel, Reformen und Modernisierung, „weil wir seit 16 Jahren eine konservative Regierungschefin haben“, so Wissing. Gleichzeitig warnt Wissing aber vor falschen Erwartungen: „Wer allerdings glaubt, die Ampel sei nun automatisch auch im Bund möglich, dem sagen wir ganz deutlich: Mit der FDP wird es keinen Linksruck geben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“