Direkte Demokratie in Berlin: Sind Volksbefragungen eine gute Idee?
Kai Wegner will einen schnell ansetzbaren Volksentscheid – etwa zu Olympia. Ist das ein passendes Werkzeug für wichtige Fragen? Ein Pro und Contra.
Ja
Denn die Frage ist vielmehr: Warum nicht schon längst? In der Hamburger Politik haben die führenden Köpfe schon 2015 begriffen, dass es Themen gibt, die a) alle angehen und b) schnell zu klären sind. Natürlich sollte das Abgeordnetenhaus selber fähig sein, über alle Themen entscheiden. Aber es kann Fragen geben, die zum einen wenig komplex und zweitens im Kern unideologisch sind – also auf keinen Fall Besteuerung, Autofahren oder gesellschaftspolitische Fragen.
Olympische Spiele hingegen oder die Frage, ob eine beliebte Freifläche in einer Großstadt zu bebauen ist, passen hingegen genau. Grüne und Linke mühen sich in Berlin zwar seit eh und je, den Eindruck zu erwecken, als gehöre Olympia-Ablehnung zu linker DNA. Doch ein Blick nach Rostock zeigt, wie abwegig das ist: Dort würde sich die Oberbürgermeisterin, eine Linke, ausdrücklich freuen, wenn ihre Stadt olympische Segelwettbewerbe austrägt.
Stefan Alberti
Die bisherigen Instrumente der Volksgesetzgebung passen für schnelle Klärungen solcher Fragen nicht. Denn bis es auf diesem Weg zu einem Volksentscheid kommt, vergehen mindestens zwei Jahre. Eine Olympiabewerbung und die grundsätzliche Bereitschaft einer Stadt dazu aber braucht eine zügige Entscheidung. In Hamburg passiert das im Mai 2026, in München gab es schon Ende Oktober einen Bürgerentscheid dazu.
Die Ausgangslage Die Berliner Landesverfassung kennt Volksentscheide bislang nur am Ende eines mindestens zweijährigen Wegs über Volksinitiative und Volksbegehren samt aufwendiger Sammlung von Unterstützerunterschriften. Anders ist es in Hamburg: Dort kann das Landesparlament mit Zwei-Drittel-Mehrheit eine solche Abstimmung ansetzen. In der Hamburger Verfassung heißt es seit 2015: „Die Bürgerschaft (der Hamburger Landtag, d.taz) kann auf Vorschlag des Senats oder mit dessen Zustimmung einen Gesetzentwurf oder eine andere Vorlage von grundsätzlicher und gesamtstädtischer Bedeutung zum Volksentscheid stellen.“
Der neue Vorstoß Regierungschef Kai Wegner (CDU) drängte jüngst bei einer Pressekonferenz, ohne darauf angesprochen zu werden, auf einen kurzzeitig ansetzbaren Volksentscheid. Er deutete Überlegungen in diese Richtung in seiner schwarz-roten Koalition an. Als mögliches Thema nannte er eine Bebauung auf dem Tempelhofer Feld. Offen ließ er dabei, ob Senat oder Abgeordnetenhaus eine solche Abstimmung auslösen sollen.
Die Gegenposition Volksentscheide „von oben“ seien keine gute Form der direkten Demokratie“, sagte Linksfraktionschefin Anne Helm am Dienstag der taz. Auch die Grünen sind bislang eher dafür, die Hürden vor einem Volksentscheid abzusenken und so den Weg zur Abstimmung zu beschleunigen. Zum in Hamburg praktizierten Modell, bei dem wegen einer nötigen Zwei-Drittelmehrheit de facto stets auch die Zustimmung aus der Opposition nötig ist, sagte ihr Fraktionschef Werner Graf: „Das ist etwas, über das man nachdenken könnte.“
Wegner Sicht darauf „Direkte Demokratie muss doch auch für Linke und Grüne wichtig sein“, meint der Regierungschef. Die Opposition braucht er, um einen solcher schnelleren Volksentscheid mit der erforderlichen Mehrheit in der Landesverfassung verankern zu können. Seine CDU-SPD-Koalition (87 Sitze) käme nur mit Stimmen der Grünen (34) oder der Linken (20) auf die dafür nötigen 106 von 159 Stimmen im Abgeordnetenhaus. (sta)
In Berlin aber könnte es nach jetzigem Stand über Volksinitiative und Volksbegehren erst 2027 ein Ergebnis geben – zu spät für den Deutschen Olympischen Sportbund. Der will sich im Herbst 2026 festlegen und wird auf dieser Basis nicht riskieren, sich für Berlin zu entscheiden, wo das Ganze im Nachhinein noch gekippt werden könnte.
Gegner lehnen so etwas oft als Volksentscheid „von oben“ ab und wenden ein, dass sich dann eine Regierung das gewünschte Ergebnis mit einer psychologisch maßgeschneiderten Frage herbeistimmen lasse. Ja, das könnte passieren – aber eben nicht, wenn sich Berlin am Hamburger Modell orientiert. Dort muss es im Parlament erst eine Zweidrittelmehrheit geben, bevor ein Volksentscheid auf den Weg geht.
Von einer solchen Mehrheit ist die aktuelle Koalition genauso wie ihre Vorgängerin weit entfernt – ohne die Opposition geht also nichts. Und die dürfte darauf achten, dass die Abstimmungsfrage weitgehend neutral formuliert ist. Dass ein solcher „von oben“ angesetzter Entscheid nicht automatisch im Sinne irgendwelcher Obriger ausgeht, hat gerade der erste Hamburger Volksentscheid dieser Art gezeigt: Der kam 2015 extra zum Thema Olympia in die Verfassung und lehnte wenige Monate später eine Bewerbung ab.
Stefan Alberti
Nein
Die Berliner CDU und Kai Wegner als Verfechter der direkten Demokratie? Klingt absurd, scheint aber wahr zu sein – zumindest auf den ersten Blick. Denn erst kürzlich wiederholte der Regierende Bürgermeister seine Forderung nach einem kurzzeitig ansetzbaren Volksentscheid von oben, um die Bürger*innen bei wichtigen Themen mitreden zu lassen. „Leider hat Berlin diese Möglichkeit nicht“, bedauerte Wegner und sagte in Richtung der demokratischen Opposition, die er bräuchte, um die Verfassung entsprechend zu ändern: „Direkte Demokratie muss doch auch für Linke und Grüne wichtig sein.“
Ein guter Köder: Direkte Demokratie, das klingt erst einmal gut, nach echter Mitbestimmung. Genau deshalb verfängt Wegners Vorschlag auch so leicht: Er ist blanker Populismus. Denn der Senat könnte sich mithilfe solcher Referenden – bei Zustimmung – damit schmücken, einen „wahren Volkswillen“ umzusetzen und so Kritik aus Zivilgesellschaft und Opposition delegitimieren. Ein von Senat oder Abgeordnetenhaus veranlasster Volksentscheid schafft auf diese Weise vermeintliche Fakten entlang einer vorgelegten Ja-nein-Frage.
Hanno Fleckenstein
Daran könnte auch das „Hamburger Modell“ wenig ändern, bei dem es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament bräuchte, um einen Volksentscheid von oben einzuberufen. Es bleibt trotzdem bei Mitsprache entlang von Vorstellungen und Regeln der Herrschenden. Ein solches Referendum bietet keinen Raum für Emanzipation und Politik von unten.
Das untermauert auch die eigentliche Motivation hinter Wegners Vorstoß. Denn er will – und das ist kein Geheimnis – das Tempelhofer Feld bebauen, traut sich aber nicht, sich mithilfe der Regierungsmehrheit im Abgeordnetenhaus über das Volksgesetz von 2014 hinwegzusetzen, was rechtlich möglich wäre. Auch zu Olympia wäre ein Referendum denkbar.
Die CDU will die Meinung der Bürger*innen also wohl vor allem zu symbolpolitischen Themen wissen. Eine Volksbefragung ist da kaum besser als die meisten repräsentativen Umfragen. In anderen Bereichen könnte Schwarz-Rot unterdessen munter weiter Politik gegen die Interessen der Menschen betreiben, wie etwa bei den massiven Einsparungen im Sozial- und Kulturbereich.
Dass es in der repräsentativen Demokratie an Möglichkeiten zur Mitbestimmung mangelt, können ein paar verordnete Abstimmungen nicht korrigieren. Echte Veränderungen werden von unten erkämpft. Und wenn Wegner & Co die direkte Demokratie wirklich so sehr am Herzen liegt, wäre ein erster Schritt hin zu mehr Glaubwürdigkeit, den rechtlich bindenden Volksentscheid zur Vergesellschaftung von Wohnraum endlich umzusetzen.
Hanno Fleckenstein
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