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Dieter Reiter über OB-Wahlen in Bayern„Die Kompetenz wird nicht genutzt“

Dieter Reiter will wieder Münchens Bürger­meister werden. Er verspricht strenge Mietenpolitik und Geld für RentnerInnen – wenn der Bund es zulässt.

Will, dass München bezahlbar bleibt – oder zumindest wird: OB Dieter Reiter Foto: imago-images
Andreas Rüttenauer
Interview von Andreas Rüttenauer

taz: In München wohnen heute 18.000 Menschen mehr als vor einem Jahr. Wissen Sie noch, wer in Ihrer Stadt lebt?

Dieter Reiter: Das ist ja nur der Saldo. Es sind im Jahr rund 80.000 Menschen, die München verlassen, und 100.000, die in die Stadt ziehen. Ob der Großteil der Menschen, die mich vor sechs Jahren gewählt haben, überhaupt noch hier lebt, ist durchaus nicht sicher. Früher hat man in der Parteienforschung gefragt: Wo sind meine Milieus, meine Zielgruppen, meine Stadtviertel? Das funktioniert heute so nicht mehr.

Aber Sie wissen schon, woher die Menschen kommen?

Viele Menschen kommen aus Osteuropa zu uns, aber auch aus anderen Teilen Europas und aus Deutschland natürlich auch. Wir haben aber auch einen hohen Geburtenüberschuss. Auch wenn die Rahmenbedingungen schwierig sind, wie hohe Mieten und hohe Lebenshaltungskosten, ist es immer noch so, dass viele Menschen in München leben möchten.

Warum ist München so beliebt?

Sicher nicht, weil es so günstig ist. München ist eine weltoffene und bunte Stadt. Wir haben einen hohen Freizeitwert, die Berge, die Seen. Und viele Menschen kommen natürlich zu uns, weil sie hier Arbeit finden. Sie wissen, dass es hier einen funktionierenden Arbeitsmarkt gibt – für gering qualifizierte ebenso wie für hochqualifizierte Arbeitnehmer. Auch Rumänen und Bulgaren kommen in der Hoffnung, hier einen Job zu finden.

Wie können Sie das steuern?

Kommunalwahl Bayern

Bayern: Am Sonntag, 15. März, finden im Freistaat Kommunalwahlen statt – in 2.056 Gemeinden und Städten sowie 71 Landkreisen.

München: In der Landeshauptstadt treten neben Amtsinhaber Dieter Reiter (SPD) auch Kristina Frank (CSU) und Katrin Habenschaden (Grüne) zur Wahl als BürgermeisterIn an. Beide Frauen haben gute Chancen. Die CSU hält derzeit die Mehrheit im Münchner Stadtrat. Die Grünen wiederum wurden bei der Europawahl 2019 stärkste Kraft in München.

Eine meiner wichtigsten Aufgaben sehe ich darin, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen, die sich die Stadt heute leisten können, München auch noch in 20, 30 Jahren leisten können und nicht nur die Hochqualifizierten und Besserverdienenden.

Wenn ich mit Wirtschaftslenkern oder Projektentwicklern spreche, dann mache ich das immer deutlich. Weil die Attraktivität einer Stadt von der Unterschiedlichkeit der Menschen lebt. Aber auch weil wir die Menschen, die bei der Müllabfuhr, in der Gastronomie oder in Pflegeberufen arbeiten, einfach brauchen.

Reichen da Appelle?

Ich habe versucht, mit vielen Einzelmaßnahmen den Druck aus dem Alltag etwa für Familien zu nehmen, indem wir die Kindergartengebühren gestrichen haben. Oder wir bieten kostenlose Mittagessen für bedürftige Senior*innen an. Aber Dreh- und Angelpunkt ist die Mietpreisentwicklung.

Sie haben einen Mietenstopp durchgesetzt.

Ja, für die rund 66.000 städtischen Wohnungen. Die Mieter*innen können sich sicher sein, dass es in den nächsten fünf Jahren keine Mieterhöhung gibt. Auf dem freien Markt funktioniert das aber nicht. Ich habe schon dafür Werbung gemacht, aber die Investoren zeigen leider eher wenig Interesse.

Sie wollen, dass der Anteil preisgebundener Wohnungen von 40 auf 60 Prozent steigt.

Das werden sicher keine leichten Verhandlungen. Wir bräuchten dringend eine verbindliche gesetzliche Regelung und dafür werbe ich auch weiter hartnäckig im Bund. Im Rahmen meines „Münchner Zukunftsdialogs“ habe ich mit Experten sogar einen Gesetzentwurf verfasst und in Berlin vorgestellt.

Teile davon hat zwar auch die Baulandkommission in ihre Vorschläge zur Änderung des Baurechts übernommen, beim Thema Soziales Bodenrecht weigert man sich aber hartnäckig, etwas zu tun.

Warum wäre das für München so wichtig?

Bild: Sven Hoppe/dpa
Im Interview: Dieter Reiter

61 Jahre, ist Verwaltungswirt und SPD-Politiker. Aufgewachsen in München, regiert er seit 2014 dort als Bürgermeister.

Wir haben seit gut 25 Jahren die sogenannte Soziale Bodennutzung, damit vereinbaren wir mit Investoren und Bauträgern einen festen Anteil an geförderten Wohnungen für jeden neuen Bebauungsplan. Das ist mehr oder weniger eine freiwillige Vereinbarung.

Eine gesetzliche Grundlage würde hier klare und verbindliche Regelungen schaffen. Darin könnte man zusätzlich für Flächen, für die bereits kraft Gesetz Baurecht besteht, einen festen Anteil an preisgedämpften Wohnungen vorschreiben. Das beträfe in München rund 60 Prozent aller Flächen, wo Investoren bisher keine einzige geförderte Wohnung bauen.

Bis ein solches Gesetz Realität wird, will ich mit Münchner Investoren neu verhandeln und wenigstens für Flächen, für die ein Bebauungsplan erstellt wird, den Anteil bezahlbarer Wohnungen auf 60 Prozent erhöhen.

Dann blieben nur noch 40 Prozent frei finanzierter Wohnraum.

Ja. Die Investoren werden womöglich drohen, dass sie in München nicht mehr bauen. Ich bin aber überzeugt, dass sie dennoch bauen werden, einfach weil sich in München dann immer noch mehr Geld verdienen ließe als etwa in der Uckermark.

Die Bürgerbegehren gegen Olympia und eine dritte Startbahn am Flughafen lassen vermuten, dass viele in München genug haben vom Wachstum?

Einige Menschen denken tatsächlich so. Ich versuche dann immer darzustellen, dass sich Wachstum nicht einfach ein- und ausschalten lässt. Wenn wir nicht mehr bauen, wenn wir keine Gewerbeflächen mehr ausweisen, wie es einzelne Parteien im Wahlkampf fordern, dann werden die Preise steigen. So einfach ist das. Und wenn Unternehmen keine Entwicklungsmöglichkeiten sehen, dann werden sie abwandern. Das wäre ein fatales Signal.

Von qualitativem Wachstum ist dann die Rede.

Das klingt vielleicht schön. In der Realität gibt es aber keinen Regler, mit dem ich das „qualitative Wachstum“ ins Töpfchen und das „schlechte Wachstum“ ins Kröpfchen tun kann.

Wie sieht hier also SPD-Politik für München aus?

Wir sind die Stimme für die Menschen, die keine Lobby haben. Es gibt viele Menschen, um die sich sonst keiner kümmert, zum Beispiel Rentnerinnen und Rentner. Oder gibt es irgendeine grüne Idee, die sich damit beschäftigt?

Und was sind Ihre Ideen?

Einmal, die Menschen finanziell zu entlasten. Deshalb die Gebührenfreiheit der Kindergärten. Oder das kostenloses Mittagessen für bedürftige Senior*innen in über 32 Alten- und Servicezentren – ein bundesweit einmaliges Modell. Treffpunkte für ältere Menschen, wohnortnah über die Stadtviertel verteilt.

Wir müssen auch weiter Wohnungen bauen, bezahlbare Wohnungen. Und wir kaufen mit unserem Vorkaufsrecht in bestimmten Gebieten, wo wir das rechtlich dürfen, Wohnhäuser auf, investieren Hunderte von Millionen Euro jedes Jahr, um die Mieter*innen vor Vertreibung zu schützen und die Mieten niedrig zu halten.

Und außerdem?

Ich würde gerne den Menschen, die auf Grundsicherung zur Rente angewiesen sind, mehr Geld bezahlen, aus dem städtischen Etat, gut 100 Euro mehr. Darf ich nur leider nicht. Aber das Leben in München ist teuer und viele Rentner*innen, vor allem Frauen, kommen ganz schwer über die Runden.

Die Bundesregierung blockt ab: Die Grundsicherung ist bundesweit geregelt.

Ja. Ein Stadtstaat müsste man sein. Das würde vieles erleichtern. Wenn ich daran denke, wie oft wir im Clinch mit dem Freistaat Bayern liegen, der seit gefühlt 1.000 Jahren politisch anders regiert wird. Wir würden uns auch gut finanzieren können, wenn man uns das Geld geben würde, das in München verdient wird. Das wäre für den Rest des Landes natürlich nicht so gut, deswegen kann ich verstehen, dass der Freistaat von dieser Idee nicht so begeistert ist.

Fühlen Sie sich vom Bund alleingelassen?

Alleingelassen vielleicht nicht, aber als Kommune auch nicht ausreichend unterstützt. Die meisten Menschen leben nun einmal in den großen Ballungsräumen und wir als Bürgermeisterinnen und Bürgermeister müssen meist das ausbaden, was im Bund entschieden wird.

Und wir sind nah an den Menschen, wir wissen doch am besten, was die Bürger*innen bewegt. Deshalb brauchen wir dringend ein Instrumentarium, um unsere Forderungen direkt bei der Bundesregierung anzubringen.

Haben Sie da eine Idee?

Ich habe mal ein „Kommunalministerium“ ins Spiel gebracht. Es ist einer der großen Denkfehler der Politik, dass man nicht versucht, die Fachkompetenz der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu nutzen.

Wo hätte man Sie denn fragen sollen?

Etwa beim Thema Mieten. Hier hat es viel zu lange gedauert, bis endlich Änderungen durchgesetzt wurden und auch das nur halbherzig. Wir können aber nur dann den Druck aus dem Wohnungsmarkt nehmen, wenn die Dringlichkeit endlich auch im Bund angekommen ist.

In München wirkt die Mietpreisbremse nicht. Warum?

Ob sie wirkt, können wir noch nicht so genau sagen. Der Freistaat hat das Gesetz so schlampig formuliert, dass die Mietpreisbremse ungültig war und die Mieterinnen und Mieter in Bayern auf das neue Gesetz warten mussten. Das wurde erst im Sommer 2019 erlassen, vor etwa einem halben Jahr. Der Zeitraum ist leider zu kurz, um sagen zu können, ob die Mietpreisbremse nun wirkt oder nicht.

Sind das die Dinge, die Sie in den sechs Jahren Ihrer Amtszeit besonders geärgert haben?

Ich ärgere mich vor allem dann, wenn Menschen mit dem Verweis darauf, dass man Dinge schon immer so macht, das Denken einstellen. Deshalb hängt auch in meinem Büro der Spruch: „Alle sagten immer, das geht nicht, dann kam jemand, der das nicht wusste, und hat es einfach gemacht.“

Was hat Ihnen denn besonders viel gegeben?

Das, was 2015 passiert ist, das werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen. Die erleichterten Gesichter der Geflüchteten, als sie damals am Münchner Hauptbahnhof ankamen. Das unglaubliche Engagement so vieler Münchnerinnen und Münchner, die von jetzt auf gleich ihre Hilfe oder Spenden angeboten haben. Und natürlich auch, als ich die Bayernkaserne kurzerhand geschlossen habe, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein.

Eigentlich war der Freistaat für die Flüchtlingsunterkunft zuständig, in der menschenunwürdige Zustände herrschten.

Das Thema Humanität hat mich nach einem Ortstermin nicht mehr losgelassen. Die Menschen mussten draußen schlafen, in erbärmlichen Verhältnissen, und das in einem reichen Land wie Deutschland.

Aber dann war da eben auch der Zusammenhalt der Münchner Stadtgesellschaft. Mit welcher Vehemenz im Ehrenamt da Dinge gestemmt wurden, was wir in kürzester Zeit an Unterkünften aus dem Boden gestampft haben – da war die Stadt am Leuchten.

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