Die strenge Hand von Chinas Machthaber: Lieber brav der Parteilinie folgen
Xi Jinping Paroli zu bieten, kann teuer zu stehen kommen. Der chinesische Staatschef reagiert radikal auf Kritik gegen ihn oder gegen die Partei.
A m unteren Ende rot anmalen, am oberen anschwärzen“, lautet ein geflügeltes Wort im Chinesischen. Was es beschreibt, veranschaulichte jüngst ein Kurzvideo, gepostet in „douyin“, chinesisches Pendant zu Tiktok: Ein junges Mädchen wird auf der Straße gefragt: „Wenn du ein Handy kaufst, nimmst du Huawei oder Apple?“ JedeR in China weiß, PatriotInnen nehmen nichts vom Feind, egal was und egal wofür. Also antwortete das Mädchen: „Zuerst einmal bin ich Patriotin.“ „Ja?“ „Zweitens ist das mein Geld.
Ich kann damit kaufen, was ich will.“ „Und?“ „Ich nehme Apple!“ Im Alltag lacht man darüber. Nicht so in der Politik. Seit 2019 steht die Warnung an Parteimitglieder und -funktionäre als absolutes Tabu im Parteidokument: „Parteianweisungen an der Oberfläche anzupreisen, um ihnen in der Praxis zuwiderzuhandeln“.
Es gab bereits Fälle, bei denen KP-Kader disziplinarisch belangt wurden, wenn sie, etwa in Zeitungen, im Fernsehen oder in den sozialen Netzwerken enthusiastisch der KP-Führung, allen voran dem Parteivorsitzenden Xi Jinping huldigten, um danach erwischt zu werden, die unfehlbaren Anweisungen des Staatschefs nicht oder nicht vollständig umgesetzt zu haben.
So war im Jahr 2020 in einer Pressemitteilung eines Regionalgerichts der nordchinesischen Provinz Heilongjiang über eine treue Gerichtsmitarbeiterin zu lesen, die 28 Tage lang ohne Unterbrechung arbeitete, ohne sich umzuziehen oder zu duschen. Die Kontrolleure der Parteidisziplin kommentierten den Bericht so: „An der Oberfläche wird die Treue zur Partei angepriesen. Aber in Wirklichkeit kommt eine unmenschliche Praxis zum Vorschein.“
Offene Widersprüche
ist 1957 in Peking geboren, lebt seit 1989 in Deutschland und arbeitet dort als freier Autor. In seinen Texten setzt er sich mit dem politischen Geschehen und der gesellschaftlichen Entwicklung in seiner Heimat auseinander.
Also: Die Verantwortliche für die Parteimedien wurde gerügt, und, wie es hieß, strafversetzt. Jüngst tun sich neue Fälle auf, die komplexer und für die Auslegung fataler sind. So wurde in Leitartikeln der Parteiorgane, der Volkszeitung, bei CCTV, dem zentralchinesischen Fernsehen sowie auf den Webseiten der Nachrichtenagentur Xinhua in 28 Fällen huldigend bekräftigt, wie Genosse Xi Jinping uns die Marschrichtung weise gezeigt habe.
Da geht es etwa darum, wie man die Wirtschaftskrise überwinden könnte, die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen, die äußeren Feinde in die Schranken weisen, um Chinas internationale Umgebung günstiger zu gestalten, oder die grassierende Straßengewalt unter Kontrolle zu halten.
Problem dabei ist nur, dass rechts und links neben diesen Texten Berichte stehen über die sich vertiefende Wirtschaftskrise, darüber, wie die Arbeitslosenzahlen immer neue Höhen erklimmen, über Chinas Isolation, die bedrückender wird – verursacht vom Feind und verstärkt von Wendehälsen wie den Philippinen oder Vietnam, die den USA zulaufen. Auch mischen sich dazwischen Berichte über Straßengewalt, die um die Grausamkeit wetteifern.
Vor einer Woche erst haben vier Halbwüchsige einen Mitschüler bei lebendigem Leibe begraben. Haben die Parteimedien „am unteren Ende“, in alltäglich für alle zugänglicher Presse, die Parteiführung und hier speziell den Genossen Xi, „rot angemalt“, und haben dieselben Medien „am oberen Ende“ Genossen Xi gnadenlos als „wirkungslos“ angeschwärzt?
Es ist damit nicht zu spaßen, wie mittlerweile alle wissen, auch weil ein Machtkampf durch höchste Ränge der Führung tobt. Fünf Minister, darunter Außen- und Verteidigungsminister, wurden geschasst, ein Dutzend Generäle, die Direktoren sämtlicher fünf Staatsbanken und der Chef der Börsenaufsicht ausgetauscht. Sind sie die Schwarzmaler, die die weise vorgezeichnete Marschrichtung boshaft ignoriert haben?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?