Chinas Außenminister verliert Amt: Qin Gangs großer Sprung ins Aus
Chinas Außenminister Qin Gang, Vertrauter von Präsident Xi, ist aus seinem Amt entfernt worden. Er war seit Wochen nicht mehr öffentlich aufgetreten.
Es ist der wohl größte politische Skandal innerhalb von Chinas Parteiapparat seit Jahren. Dabei ist nach wie vor unklar, warum Qin konkret geschasst wurde. Auch wenn die Kommunistische Partei vielleicht bald eine offizielle Erklärung nachreichen sollte, wird angesichts ihrer dystopischen Intransparenz die Weltöffentlichkeit wohl nie erfahren, was sich genau hinter den Kulissen zugetragen hat.
Ein Blick zurück: Der in der nördlichen Provinz Hebei geborene Qin Gang galt als regelrechter Shootingstar innerhalb der Kommunistischen Partei. Seine berufliche Karriere verbrachte er fast durchgängig im Außenministerium.
Dort fiel er den Pekinger Korrespondenten spätestens in den frühen zehner Jahren in seiner Rolle als Sprecher auf: Bei den täglichen Pressekonferenzen des Ministeriums erarbeitete sich Qin mit seinen konfrontativen und nationalistischen Art einen berüchtigten Ruf als chinesischer „Wolfskrieger“.
Der „Wolfskrieger“ beeindruckte in den USA mit Basketball
Doch der Diplomat konnte anders, wenn er denn wollte. In seiner Rolle als Botschafter in Washington, wohin er 2021 versetzt wurde, konnte er durchaus charmant und weltgewandt sein. Unvergessen bleibt sein Besuch beim NBA-Spiel der Washington Wizzards, als er in der Pause locker ein paar Körbe auf dem Platz warf. Selten hat man einen Botschafter Pekings derart human wahrgenommen.
Als Qin Gang Anfang des Jahres schließlich Chinas neuer Außenminister wurde, war dies der letzte Beweis, dass der Spitzendiplomat einen exzellenten Draht zu Staatschef Xi Jinping unterhielt. Die meisten Beobachter hätten damals darauf gewettet, dass Qin die Spitze seiner Karriere noch längst nicht erreicht hat.
Nun ist es jedoch definitiv anders gekommen. Seine Causa mag möglicherweise darauf hindeuten, dass es innerhalb der Führung um Xi internen Streit gibt. Doch letztlich war die Art, wie man den Fall handhabte, eine nonchalante Machtdemonstration des Staatschefs: Scheinbar unbeeindruckt von der Weltöffentlichkeit, die Chinas autoritären Sicherheitsapparat offen vor Augen geführt bekam, kümmerte man sich nicht um gesichtswahrende Erklärungen – sondern ließ Qin einfach spurlos verschwinden.
Für Chinas Außenpolitik wurde seine Abwesenheit in den letzten Wochen zunehmend zu einem Problem, das über das reine Image des Landes hinausging. Viele Regierungen zeigten sich hinter vorgehaltener Hand irritiert, mit was für einen Staat sie es zu tun haben.
Qins Fall zeigt, dass China kein normaler Staat ist
Dabei ist bislang in der medialen Öffentlichkeit untergegangen, dass Qins Reisen und offiziellen Termine bereits seit Wochen von Wang Yi übernommen wurden. Der bekleidet zwar einen hochrangigen Parteiposten, hatte aber eigentlich keinerlei Regierungsfunktion mehr inne.
Mehr als deutlicher kann man nicht demonstrieren, dass China eben nicht wie ein „normaler“ Staat funktioniert, sondern dort einzig die Kommunistische Partei das Sagen hat.
Das faszinierende an der Causa war, dass in Chinas hochzensiertem Internet nach wie vor einige Gerüchte über Qins Verbleiben in den sozialen Medien zu lesen waren. Die prominenteste Theorie lautete, dass Qin Gang eine Affäre mit einer Hongkonger Fernsehjournalistin gehabt und möglicherweise sogar ein uneheliches Kind gezeugt habe. Auch von dekadenten Geschenken an die junge Frau war die Rede. Bestätigt ist bislang nichts davon.
Auch in der Bevölkerung stieß die Geheimniskrämerei auf wachsende Kritik. „Jeder ist über etwas besorgt, kann es aber nicht öffentlich sagen“, schrieb der parteitreue Kommentator Hu Xijin auf der Onlineplattform Weibo.
Die wahren Entlassungsgründe werden wohl nie bekannt
Bis Redaktionsschluss war nicht bekannt, was tatsächlich zu Qin Gangs Amtsenthebung geführt hat. Doch welche offizielle Erklärung auch nachgereicht wird: Es scheint fraglich, dass die Öffentlichkeit jemals mit Sicherheit sagen kann, was genau sich hinter den Kulissen zugetragen hat. Ähnlich war es schon beim Verschwinden anderer Prominenter – vom Unternehmer Jack Ma bis hin zur Tennisspielerin Peng Shuai.
Dass sich mit dem neuen und alten Außenminister Wang Yi Chinas diplomatische Linie ändert, gilt als unwahrscheinlich. Wenn überhaupt, dürfte Chinas vor Selbstbewusstsein berstende Nationalismus nur noch weiter zunehmen. Wang gilt als noch lauterer Polterer als Qin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett