Die besten Kochbücher des Jahres: Oft kopiert, nie erreicht
Ruth Rogers und Rose Gray haben das River Café in London zur Legende gekocht. Nun gibt es ihre Rezepte endlich in einer deutschen Gesamtausgabe.
Was ist Pappa al pomodoro? Ein typisches Gericht der toskanischen Küche, die das Beste aus der Region vereint: gutes Olivenöl, saftig-süße San-Marzano-Tomaten, Basilikum und Brot.
Man kann das Gericht aber auch nur für zerstampfte Tomaten mit altbackenem Brot halten. Und sich wundern, dass ein Lokal so etwas auf der Karte stehen hat und dafür auch noch einiges an Geld verlangt. Ungefähr so muss es Ende der achtziger Jahre gewesen sein, als ein kleines Restaurant an der Themse, das „River Café“, den Menschen in London alles, was sie bisher über die italienische Küche zu wissen glaubten, streitig machte.
Mehr als dreißig Jahre später ist das River Café weit über die Grenzen Großbritanniens bekannt. Es zählt zu der kleinen Reihe von Lokalen aus der Kategorie „Unikum“, die, oft kopiert und doch nie erreicht, Gastronomiegeschichte geschrieben haben. Nicht allein wegen des Essens, sondern auch wegen des Spiritus Loci, den der Ort ausstrahlt und der von zwei Autodidaktinnen geprägt ist: Rose Gray und Ruth Rogers.
Begonnen hatte alles 1987 mit einer Kantine. In einem alten Lagerhaus hatte sich ein großes Architekturbüro eingerichtet, und die Mitarbeiter sollten versorgt werden. Aber als Ruth Rogers und Rose Gray das River Café aufsperrten, hatten sie weit größere Pläne.
Mehr als Lasagne und Tiramisu
Die Briten hatten bisher nur ferne Bekanntschaft mit der Küche anderer Länder jenseits von Frankreich und Indien gemacht. Das beliebteste Restaurantdinner bestand aus Shrimp-Cocktail, flambiertem „Steak Diane“ – die Princess of Wales war auf dem Höhepunkt ihrer Popularität – und Schwarzwälder Torte zum Nachtisch. Italienische Restaurants servierten Spaghetti bolognese, Lasagne und Tiramisu.
Die beiden Köchinnen waren sich einig, sie wollten solche Klischees nicht reproduzieren. Sie hatten lange in Italien gelebt, Ruth Rogers mit ihrem aus Italien stammenden Mann Richard, der das Centre Pompidou gebaut hatte und nun eben das Architekturbüro in London gegründet hatte. Nun wollten sie möglichst originalgetreu nach London bringen, was sie dort kennengelernt hatten: eine einfache Küche, die mit wenigen, aber nur den besten Zutaten arbeitet und daher vor allem verwendet, was gerade Saison hat.
Sie mussten nicht lange Überzeugungsarbeit leisten. Die anfängliche Skepsis über Gerichte wie die Pappa al pomodoro verflog rasch, vor allem nach einer begeisterten Kritik in der Times über einen Nachtisch namens „Chocolate Nemesis“, der noch heute ein Standard auf der Karte ist. 1997 folgte ein Michelin-Stern und das River Café wurde erst zum Stammlokal der Künstlerszene, schließlich zu einer Institution in der Stadt.
Auch junge Köche zog es in das Restaurant. Viele der Rachs und Mälzers Großbritanniens, also bekannte TV-Köche wie Hugh Fearnley-Whittingstall, Ben O’Donoghue oder April Bloomfield, machten dort Station. Allen imponierte die Radikalität, mit der Rose Gray und Ruth Rogers von der Frische und Qualität der Zutaten aus dachten. Meist schrieben sie die Speisekarte erst um 16 Uhr. Der Küchenbrigade blieben dann noch zwei Stunden Zeit, bis das Restaurant aufsperrte.
Jamie Oliver hat hier gelernt
Auch ein gewisser Jamie Oliver lernte im River Cafe. Als Rose Gray 2010 mit 71 Jahren starb, erinnerte er sich: „Roses Kochstil war alles andere als kontrolliert. Bei ihr schepperte es, und sie liebte es, Zutaten auseinanderzurupfen. Sie hackte, schnipselte und zerquetschte sie nach Herzenslust.“ Er habe im River Café das Kochen noch einmal neu gelernt. „Die beiden Köchinnen nahmen keine Rücksicht auf unsere bisherige Ausbildung.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
1996 erschien das erste Kochbuch von Rose Gray und Ruth Rogers. Fünf weitere folgten, alle wurden Klassiker, aber nur wenige wurden ins Deutsche übersetzt. Das hat in diesem Jahr der Schweizer Echtzeit-Verlag nachgeholt. Seine Gesamtausgabe mit über 900 Rezepten ist ein Grundlagenwerk vor allem der norditalienischen Küche; auf Salsa, Pesto, Pasta, Gnocchi, Risotto, Polenta folgt ein Konvolut von Fleisch- und Fischrezepten.
An der ein oder anderen Stelle schleichen sich Gerichte ein, die einem eher englisch vorkommen, wie Rinderfilet mit Meerrettichsauce, aber so von der italienischen Kochphilosophie getragen sind, dass es eben doch passt. Und übrigens: Für die Pappa al pomodoro gibt es nicht nur ein, sondern gleich ein halbes Dutzend Rezepte.
„River Café – Alle Rezepte. Die italienische Küche von Rose Gray und Ruth Rogers“. Echtzeit, 784 Seiten, 62 Euro
* * *
Drei weitere Bücher, die 2020 viel Genuss bereitet haben
Wild mit Wild: In sechster Generation führt Viktoria Fuchs, Köchin und Jägerin, gemeinsam mit ihrer Schwester Kristin das Restaurant Spielweg im Schwarzwald – das dank der Wildküche von Vater Karl-Josef weit über Baden hinaus bekannt ist. Große Fußstapfen also, in die die zwei Töchter getreten sind, und was macht Viktoria? Sie tanzt darin. „Wildschwein Dim Sum“, „Rehtello Tonnato“ oder Maultaschen von der Gams sind nur drei der Rezepte aus ihrem ersten Kochbuch, die zeigen, wie unkonventionell Viktoria Fuchs sich dem Thema Wild nähert. /// Viktoria Fuchs: Fuchsteufelswild. Südwest, 240 Seiten, 25 Euro
Afrika, mon amour: Von Marokko über Madagaskar bis nach Namibia und Südafrika – ein Jahr lang reiste die Fotografin Maria Schiffer, um die alltägliche Küche der Menschen in zehn Ländern Afrikas zu dokumentieren. Herausgekommen ist ein bildgewaltiges Buch mit Kurzgeschichten, Porträts und knapp 50 Rezepten. Sie erzählen von überwältigender Gastfreundschaft, einer vielfältigen Esskultur und einem Kontinent, auf dem Frauen und Männer oft gemeinsam kochen und Küche und Esstisch die erste gesellschaftliche Feuerstelle sind. /// Maria Schiffer: Eating with Africa. DK, 240 Seiten, 29,95 Euro
Wein statt Tränen: „Der Garten von Schloss Schönbrunn ist nicht mehr unser Ideal“, sagt Fred Loimer. Er ist einer von zwölf Winzerinnen und Winzern, die Romana Echensperger in ihrem hochinformativen Buch über biodynamischen Weinbau porträtiert: leidenschaftliche Menschen, die sich von den Hilfsmitteln der Agrarindustrie frei gemacht haben und Wildwuchs zulassen. Sie produzieren exzellente Weine, und ihre Sorge gilt der Erde, auf der die Reben wachsen, mindestens so sehr wie dem Wein selbst. /// Romana Echensperger: Die Freiheit, den richtigen Wein zu machen. Westend, 288 Seiten, 32 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland