Die Wahrheit: Peace, Love and Understanding
Warum Duschen im Freibad so kompliziert geworden ist? Liegt an den sauberen Kids, die fanatische Warmduscher sind. Nicht nur die Rutsche verwaist.
A uf dem Weg ins Freibad fällt mir eine martialische Werbung auf. Erst vermute ich, die Bundeswehr rekrutiert für eine Eliteeinheit unter dem Matronen-Kommando einer „Tough Mudder“. Doch die Mudder ist keine Erziehungsberechtigte, sondern ein Schlammhindernislauf für Zivilisten. Sogar Minderjährige werden in Mudders Kinderprogramm „Kids by Spartan“ paramilitärisch verdreckt. Offenbar haben Erziehungsmethoden der antiken Krawallgriechen noch immer einen guten Ruf bei Eltern, denen die autoritäre Wende nicht schnell genug geht.
Ausweislich der Wehrsportwebseite macht die Schinderei den Kleinen irrsinnigen Spaß. Die Fotos zeigen meist wie fanatisiert brüllende Pimpfe, die sich durch apokalyptische Kulissen in Erdfarben kämpfen. In dieser Ästhetik werden sonst Bürgerkriege dokumentiert. Warum Eltern den Wunsch hegen, ihren kleinen Mad Max als Kindersoldat zu inszenieren, ist nicht nur mir ein Rätsel: An den Bedürfnissen des modernen Nachwuchses geht die Schlammschlacht vorbei.
Die sauberen Kids von heute sind allesamt fanatische Warmduscher, kann ich als regelmäßiger Freibadgast bezeugen. Rutsche wie Erlebnisbecken verwaisen: Das Kindsvolk lässt sich lieber unter der Dauerbrause auf Embryogröße zurückschrumpeln, als sich zum Spartaner machen zu lassen.
Seit Monaten versuche ich vergeblich, nach dem Schwimmen eine kindsfreie Dusche zu ergattern. „Ich war Erster hier!“, gibt mir auch heute ein resolutes Kerlchen zu verstehen, als ich mich in der Herrendusche anstelle. Das Kind weicht zwar auf, aber keinen Millimeter zurück.„Ich verstehe dich“, sage ich. „Der Faschismus ist zurück, der Klimawandel lässt sich nicht aufhalten und eure Eltern wollen euch beim Tough Mudder kriegstüchtig drillen.“ Das Kind schaut mich unsicher an. Mit so viel Verständnis hatte es nicht gerechnet, aber meine Empathie ist noch nicht erschöpft.
Heiße Dusche genießen
„Auf die Gnade einer Abtreibung können künftige Generationen auch nicht mehr hoffen, die wird bald verboten. Genau wie Pronomen in Regenbogenfarben und vegane Sprache.“ Mittlerweile muss ich gegen Tränen kämpfen. „Genieß deine heiße Dusche“, schluchze ich, während ich den Buben sanft schüttele. „Die siegreiche KI wird euch diesen Luxus kaum gönnen, wenn ihr als Kindersklaven mit bloßen Händen seltene Erden schürfen müsst. Aber was weiß denn ich? Ich muss das alles ja nicht mehr miterleben.“
Mittlerweile haben die Warmduscher-Kids einen Kreis um mich gebildet. Als ich greinend zusammenbreche, schieben mich kleine Händchen unter eine eiskalte Brause. Dann patschen kleine Füßchen über Fliesen, und ich habe den Nassraum endlich für mich alleine. Ich drehe das Heißwasser auf und dusche, bis der Schwimmmeister den Badeschluss ausruft. „Wie haben Sie die verfluchten Kinder hier rausgekriegt?“, will er wissen. „Mit Peace, Love and Understanding“, tadele ich ihn sanft. „Wir Warmduscher müssen zusammenhalten.“
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