Die Wahrheit: Nadelstiche gegen den Kapitalismus
Auch als Einzelner kann man dem Kapitalismus schaden. Haben Sie schon mal „Zahnpasta teuer“ gegoogelt? Oder dem Kapital 5 Sterne auf Amazon gegeben?
M anche sagen, als einzelner Mensch könne man gegen den Kapitalismus nichts ausrichten. Wer das behauptet, lässt sich beim sommerlichen Einschlummern sicher auch von keiner Mücke stören. Mir hingegen versetzt jede einzelne dieser winzigen Blutsaugerinnen böse Stiche ins Nervenkostüm. Entsprechend glaube ich daran, dass man auch als Einzelner dem Kapitalismus schaden kann. Ein bisschen zumindest. Und so mache ich es:
Erst einmal sorge ich dafür, dass mich der Kapitalismus gar nicht greifen kann. Wenn ich Dinge kaufe, dann am liebsten für andere. Jemandem, der an einem Tag aus einer gartenlosen Altbauwohnung heraus einen Astschredder bestellt, am nächsten Tag dem Kapital fünf Sterne auf Amazon gibt und am dritten Tag auf zehn verschiedenen Preisvergleichsseiten nach „Zahnpasta teuer“ sucht, dem kommen selbst die besten Algorithmen nicht mehr bei.
Wie jeder anständige Millennial shoppe ich dabei am liebsten am Rechner. Schon bei der Google-Suche lässt sich sticheln: Immer, wenn ich mir ein Bahnticket buchen will, google ich „die bahn“, klicke allerdings nie auf die Anzeige. Das würde die Bahn schließlich ein paar Cent kosten und sie Google bringen. Stattdessen klicke ich immer auf den für die Bahn kostenfreien Link. Nähmen sich das alle zu Herzen, wäre die Riedbahn innerhalb von 250 Jahren saniert – kostenlos, sozusagen.
Wo ich einigen Unternehmen Kosten spare, schaffe ich sie anderen. Vor allem durch Klauen. Wo ich nicht klauen kann oder will, kaufe ich gebrauchte Waren. Bei Büchern zum Beispiel folgt auf jede Frischbuchflut unweigerlich eine Gebrauchtbuchschwemme, die man nur abschöpfen muss.
Mit nur einer Hose gegen den Kapitalismus
Die höchste Form des privaten Kampfes gegen den Kapitalismus ist natürlich der Nichtkonsum. So besitze ich nur eine Hose. Die allerdings gleich fünf Mal, SSV ist schließlich SSV. Dass mich Menschen in meinem Umfeld mit der vermeintlich immergleichen Hose sehen, macht diesen Vortrag, wenn ich ihn mündlich halte, auch direkt glaubhafter.
Aber wohin mit all dem gesparten Geld? Na klar, investieren! Denn auch mit Investitionen kann man dem Kapitalismus schaden. Langfristig eigenen sich dafür am besten passiv gehaltene ETFs. Denn ohne kursbestimmende, hausse- und baisse-gegerbte Hedgefonds-Kapitäne fehlt dem globalen Finanzkapitalismus die notwendige Direktive. Herrenlos treibt er solange dahin, bis er unvermeidlich auf das Riff Sozialismus auflaufen wird.
Doch um wirklich etwas zu bewegen, muss aus diesen Nadelstichen gegen den Kapitalismus selbstverständlich eine Bewegung werden. Frei nach Ernst Thälmann: Einen Nadelstich kann man setzen. Aber für fünf davon braucht man schon ein paar mehr Leute.
Wer jetzt angefixt ist: Ich schreie meine Erkenntnisse jeden Samstag ungefragt durch den Berliner Volkspark Friedrichshain, schauen Sie gern vorbei. Getränke bitte selbst klauen!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CSD-Absage der Bundestagsverwaltung
Klöckner macht Kulturkampf
Konservative Politik
Arbeit für die Aufräumer
Demo gegen Krieg in Gaza und Iran
Faschismus befreit nicht vom Faschismus
Krieg in der Ukraine
„Das ist nichts anderes als Völkermord“
Trumps Abwesenheit bei G7
Knallharte Gesten der Macht
Analyse zum Krieg zwischen Iran & Israel
Drehbuch mit offenem Ende