Die Wahrheit: Der Führer liest mit
Vor den Toren Halles im Niemandsland soll im November die erste gesamtdeutsche Nazi-Buchmesse seit 1945 stattfinden. Braune Soße auf braunem Sofa …
L ange stand Halle im Schatten der Leipziger Buchmesse. Damit wir Hallenser uns nicht so vernachlässigt fühlen, wurde das Konzept „Halle liest mit“ erfunden. Doch keine Sau interessiert sich für die Mitleser in Halle, am wenigsten die Insassen von Halle selbst, die lieber die Gelegenheit der Leipziger Buchmesse nutzen, um endlich mal rauszukommen aus Sachsen-Anstalt.
Nun ist Großes in Planung vor den Toren Halles, im gewerbezersiedelten Niemandsland bei Bruckdorf, auf einem Messegelände, das in der Vergangenheit leidlich genutzt wurde für zahlreiche Kleintierschauen, zwei bis drei „Wetten, dass …?„-Übertragungen und einen AfD-Parteitag. Keine Geringere als Susanne Dagen, die in Dresden-Loschwitz einen schnuckligen Buchladen für die blau-braune Leserschaft führt, plant dort im November 2025 die erste gesamtdeutsche Nazi-Buchmesse seit 1945. Rechte aus aller Welt sollen sich in der schönen Geburtsstadt von SS-Mann Reinhard Heydrich herzlich willkommen fühlen.
Ein paar Details zum Programm sind mir indes zu Ohren gekommen. Gabriele Krone-Schmalz konnte als Rednerin gewonnen werden, um bei der Eröffnungsfeier das Gastland der Buchmesse Halle, das von der Nato eingekreiste Russland angemessen zu würdigen. Neben den Biografien „Prigoschin, ein Held unserer Zeit“ und „Stalin der Menschenfreund“ darf sich die sehr deutsche Leserschaft freuen über die Neuübersetzung des Klassikers „Schuld ohne Sühne“. Medwedew lässt bereits durchblicken, Halle bei einem Atomschlag auf Deutschland vielleicht verschonen zu wollen. Die AfD-Fraktion im Stadtrat begrüßt diese deutsch-russische Freundschaftsgeste.
Mit Suhrkampfautor Uwe Tellkamp
Der designierte Reichsschriftführer Götz Kubitschek lädt den Suhrkampfautor Uwe Tellkamp und den thüringischen Triumphator Bernd Höcke zu sich auf das braune Sofa, um über deutsche Männlichkeit am Beispiel des neu aufgelegten ersten und einzigen Romans von Joseph Goebbels zu diskutieren. Ein Werk, dessen Beginn mit den irisierenden Worten anhebt: „Unter meinen Schenkeln schnaubt nicht mehr der Vollbluthengst.“
Zur Langen Nacht der rechten Lesebühnen treten die „Reformbühne Heim ins Reich“, „Hiebe statt Drogen“ und „Die Braunenboys“ in einer fröhlichen Dichtervernichtungsschlacht aufeinander ein. Die wohlwollend kommentierte Ausgabe von „Mein Kampf“ wird ebenfalls ins rechte Licht gerückt werden sowie der neue Essay von Alice Weidel „Von Ernst Röhm bis Michael Kühnen. Gleichgeschlechtliche Liebe im Dienste Deutschlands“.
Natürlich findet auch ein Cosplay statt. Junge Rechte zwischen 16 und 20 verkleiden und schminken sich nach ihren Lieblingsnazis. Wie Susanne Dagen allerdings bekundet, will sie Holocaust-Leugnung auf der rechten Buchmesse nicht dulden. Das schränkt den Spaß leider etwas ein. Eines aber ist gewiss – für ein deutsches, reichhaltiges Programm dürfte in Halle gesorgt sein.
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