Die Wahrheit: Das Händchen des Todes
Nach dem Orkan „Éowyn“ ist in Irland vielerorts das Internet ausgefallen. Und wenn niemand zurückruft, ist auch telefonisch nichts zu erreichen.
W enigstens funktioniert der Strom wieder. Sturm „Éowyn“ hatte vor zweieinhalb Wochen alles lahmgelegt: Internet, Handy, Festnetztelefon, Fernseher, Radio. Das bedeutete, dass wir fünf Tage von sämtlichen Nachrichten abgeschnitten waren.
Der Dritte Weltkrieg hätte ausgebrochen, Donald Trump – Gott bewahre – einem Attentat zum Opfer gefallen oder Friedrich Merz zur AfD übergelaufen sein können, wir hätten es nicht mitbekommen. Dann, aus heiterem Himmel, hatte das Handy vorübergehend Empfang, wenn man am offenen Schlafzimmerfenster stand. Ich rief eine Freundin im Nachbardorf an. Sie hatte Internet, und zuallererst fragte ich sie, wie Hertha gegen den HSV gespielt hatte. Die Antwort war nicht nur ernüchternd, sondern die Freundin hält mich seitdem auch für bekloppt.
Unser Gefriergut konnte ich bei einem Nachbarn auslagern. Er hat einen Generator, aber taz-Zeichner ©TOMs Vermutung, dass ich das Händchen des Todes für elektrische und elektronische Geräte habe, wurde erneut bestätigt: Kaum hatte ich die Lebensmittel vermeintlich gesichert, da ging der Generator kaputt. Vier Säcke wanderten in die Mülltonne.
Das Internet funktioniert immer noch nicht, doch der Handyempfang hat sich halbwegs stabilisiert. Das hat nicht nur Vorteile, denn die erste Nachricht, die ich erhielt, war von AA. Mein Monatsbeitrag konnte nicht eingezogen werden. Ich rief an und erklärte, dass ich eine neue Kreditkarte habe, aber auf der AA-Website gebe es keine Möglichkeit, die Zahlungsmethode zu ändern. Jemand von der Finanzabteilung werde mich anrufen, um meine neue Kreditkarte zu notieren, versprach man mir.
Der Anruf kam nie. Stattdessen erhielt ich eine weitere Mail, mit der man mir androhte, meine Mitgliedschaft zu stornieren, sollte ich nicht binnen sieben Tagen zahlen. Ich klickte auf den Link zum Webchat und beschrieb meinen Fall. Man verstehe das Problem nicht, antwortete die KI, die offenbar nicht sonderlich intelligent ist.
Hinter der Abkürzung AA verbergen sich übrigens nicht die Anonymen Alkoholiker, sondern die „Gelben Engel“ von der Automobile Association, dem irischen Pendant zum ADAC. Demnächst werden sie mich verstoßen, was misslich ist, da der Nachbarort eine Kläranlage bekommt. Die ist zwar bitter nötig, damit der Dreck nicht weiterhin direkt in den Atlantik fließt, aber es bedeutet auch, dass wir monatelang eine Umleitung auf einem einspurigen Feldweg nehmen müssen, wenn wir einkaufen oder bei Freunden den Internetanschluss anzapfen wollen, um zum Beispiel diese Kolumne zu versenden.
Der Feldweg ist übersät mit Schlaglöchern, in denen man Fische züchten könnte. Im Dunkeln droht eine Reifenpanne, wenn nicht ein Achsenbruch. Sollte das geschehen, werde ich mich um eine Mitgliedschaft bei den Anonymen Alkoholikern kümmern müssen.
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