Die Wahrheit: Flachmatt
Der Rücken, immer wieder der Rücken. Und kein Mittelchen hilft. Oder vielleicht doch die neue, von einem Fakir erfundene Akkupressurmatte Shaktimat.
J etzt habe ich mir eine Matte bestellt, auf der Scheiben aus Hartplastik mit lauter Spitzen dran befestigt sind. Ein schwedischer Masseur oder Masochist hat das erfunden, in Anlehnung an das Nagelbrett der Fakire. Kurz darauf erhielt ich ein Video von Nico von Shaktimat. Das ist kein Prinz aus dem Morgenland, wie man denken könnte, sondern eine Influencerin aus Berlin, die mir die Vorteile dieser Akkupressurmatte, der Shaktimat, näherbringen soll.
Bevor wir mit der Übung beginnen, möchte sie mir noch etwas „Background Knowlegde geben“. Ich halte ja in die Rede eingestreutes Englisch, um irgendwie cool und up to date zu wirken, für ein absolutes No-Go. Hier mache ich mal eine Ausnahme, was nicht an ihrer attraktiven Figur in hautengen Yogaleggins liegt, sondern an der freundlichen Ansprache.
Shakti, so erklärt es mir Nico von Shaktimat, während sie im Schneidersitz in die Kamera spricht, bedeutet in Sanskrit „weibliche Energie durch Mitgefühl, Kreativität und Fürsorge“. Wer wollte sich dem verschließen? Gerade jetzt liegt das ja voll im Trend. Die Matten werden auch von fröhlich lachenden indischen Frauen hergestellt, wie Fotos bezeugen. Kann auch sein, dass sie aus dem Lachen nicht mehr herauskommen, weil das Marketing von Shaktimat alles richtig gemacht hat und mir das Gefühl gibt, ein rundherum gutes Produkt erworben zu haben.
Ich öffne den Karton, ein optimistisches Orange strahlt mir entgegen. Autsch! Die Plastespitzen sind wirklich spitz. Wenn ich mich da 20 Minuten am Tag drauflege, werden die natürlichen Glückshormone meines Körpers freigesetzt. Ich breite die Matte auf dem Boden aus. Man kann sich auch mit den Füßen draufstellen. Meine Füße würden glücklich werden, verheißt mir Nico von Shaktimat.
„A new Fakir is born“
Es hat auch ein bisschen was von einer Tretfalle im Dschungel, um den Feind lahmzulegen. Wenn bloß die vielen Spitzen nicht wären. Dann läge man recht problemlos auf dieser Matte. Es gibt allerdings einen Trick, den Nico von Shaktimat mir nun verrät. Nach fünf Minuten des Draufliegens, sagt sie, lasse der Schmerz nach. Fünf Minuten können jedoch sehr lang sein, was jeder nachvollziehen kann, der regelmäßig mit seiner Mutter telefoniert.
Ob die Shaktimat endet wie mein Kopfstandhocker, der Bauchroller, das Liebscher-Bracht-Faszienenballset und das Wackelbrett mit rutschfestem Standfuß? Rücklings nähere ich mich langsam der Matte, es tänzeln kleine schwarze Punkte auf meiner Iris, denn die Spitzen bohren sich tief in die Haut, meine Rückenschmerzen spüre ich augenblicklich gar nicht mehr, weil das so weh tut.
Das ist ja toll, denke ich, während meine Freundin die Tür zu meinem Arbeitszimmer öffnet, um nachzusehen, warum ich so schreie. Nicht schlimm, bedeute ich ihr. „A new Fakir is born“, rufe ich. Dann verliere ich vor Glück mein kritisches Bewusstsein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen