Die Wahrheit: Westwurst auf Reisen
Schon im Zug nach Osten überall dieser faschistoide thüringische Dialekt der Nazis mit Baseballschlägern. Eine Erkundung mit eigenem Weltbild.
T hüringen hat gewählt. Ich habe auch gewählt, nämlich eine Reise nach Thüringen. Zwar wurde ich von Familienmitgliedern darauf aufmerksam gemacht, dass wir Nazis auch zu Hause haben und mein Ausflug deshalb nicht nötig sei, aber als intelligente Frau von Weltoffen muss man sich selbst ein Bild machen.
Natürlich brach die schnöselige West-Zugverbindung sofort zusammen und katapultierte mich in einen Ost-Regionalexpress. Schon trat mein erster Nazi auf, erprobte seinen faschistoiden thüringischen Dialekt an mir und prüfte meine Fahrkarte. Da sie in Ordnung war, kam ich nicht in Abschiebehaft, sondern musste nur sein freundliches Lächeln ertragen.
Danach kontrollierte er einen Geflüchteten mit gefälschtem Deutschlandticket ohne Ausweis, der sich noch dazu in die erste Klasse verlaufen hatte. Was ja irgendwie auch wieder konsequent ist – wenn du schon was falsch machst, dann am besten gleich alles, sonst lohnt der Aufwand nicht.
Ich wartete darauf, dass mein Nazi in Bahnuniform grün anliefe und den Baseballschläger zückte. Stattdessen informierte er den Delinquenten, dass gefälschte Tickets „nicht so eine gute Idee“ seien und er jetzt den Zug verlassen müsse. „Ich wollte hier sowieso aussteigen“, radebrechte der Schwarzfahrer freundlich. „Ich auch“, erwiderte lächelnd der Kontrolleur, und beide zogen friedlich gemeinsam ab. „Entschuldigung, könnten Sie bitte mein Weltbild mitnehmen?“, rief ich ihnen noch nach, aber mit einigen Dingen muss man selbst klarkommen. Tanzten die beiden etwa Hand in Hand den Bahnsteig entlang?
Inzwischen erreichten mich Nachrichten von Kollegen, die im Auto Thüringen durchquerten. Sie wollten eventuell beim Musfest in Faulungen anhalten, hatten aber Angst, dass jemand auf die Frage, was für ein Mus es hier gäbe, einladend auf einen sehr großen Topf zeigen würde, in dem frisches Westfleisch zu Wurstbrät verschmurgelte.
Da war ich in der Bahn besser aufgehoben, denn inzwischen war ich in Erfurt angelangt. Dort prangte an der Bahnstrecke ein Graffiti, das bekannte: „Meine Schuld“. Sag ich ja, Thüringen, deine Schuld, dachte ich erleichtert, aber 500 Meter weiter verlangte ein anderer Schriftzug „Denk!“. Nö, dachte ich, das ist mir ja zu anstrengend, aber vielleicht zählt „Nö“ im Osten auch schon als Gedanke. Das würde manches erklären.
Dann fuhr ich noch ein Stück im Auto mit bei einem westdeutschen Kriegsdienstverweigerer, der lautstark deutsche Waffenlieferungen beklagte, weil er nie einen Menschen umbringen will. Wild gestikulierend überließ er in der folgenden Debatte das Steuerrad seines klapprigen Gefährts ebenso sich selbst wie die Ukraine, sodass ich dem pazifistischen Tod nur knapp entkam.
Erschöpft erreichte ich schließlich mein Ziel Weimar, wo mein Lieblingscafé mir einen leckeren „Antipack-Teller“ servierte. Das nenne ich Flagge zeigen. Aber vielleicht nenne ich es auch bloß Antipasti-Teller mit Tendenzverleser.
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