Die Wahrheit: Gehupft wie gesprungen
Im zeitweise sinnentleerten langweiligen Sommer entwickeln sich manchmal Trends und Trendsportarten von schier berückender Dämlichkeit.
E s muss eine neue Trendsportart sein, zumindest sehe ich es jetzt immer öfter: Springen. Mein Mitbewohner springt als sportliche Betätigung in seinem Zimmer, das spüre und höre ich allerdings mehr, als dass ich es sehe, ich springe deswegen langsam im Quadrat, aber schon die Jüngsten springen auf Spielplätzen umher, um ihre Körper zu stählen.
Auch auf diesen Sportanlagen in Stadtparks wird gern gesprungen, meist auf Bänke. Dabei sind die explizit für das Gegenteil von Springen da, nämlich Sitzen. Am meisten gesprungen wird allerdings immer noch in Fitnessstudios.
Dort ist das Wort Kniebeugen schon seit etlichen Jahren regelrecht verpönt. Sogar „Squats“, unter diesem Namen durften die Kniebeugen nach ungefähr einem Jahr „abroad“ heimlich weiterexistieren, sind längst aus der Work-out-Mode gekommen. Und selbst die Beinpresse taugt höchstens noch als Alternativbegriff für Fußballzeitschriften.
Stattdessen werden besagte Übungen jetzt nicht mehr langsam, sondern explosiv ausgeführt. Eine explosive Kniebeuge kennen wir eben als Springen. Schlecht sieht das gar nicht aus, regelrecht kraftvoll kann es im besten Fall wirken. Einem durchschnittlich trainierten Frosch zumindest würde es ohne Frage die Neidfalten auf die sonst makellos glatte Stirn zeichnen.
Seltsam am neuen Megatrend Springen ist allerdings, dass aus einem erfolgreichen Sprung selten etwas gemacht wird. Einmal oben auf dem üblicherweise genutzten Holzkasten angelangt, verweilen die Springer nicht mal, um sich kurz umzuschauen, die Aussicht zu genießen oder wenigstens nach dem nächsthöheren Ding zu suchen, auf das sie springen können.
Alles hat ein Ende und der Sprung bildet da keine Ausnahme, im Gegenteil, so ein Sprung ist ja schnell gemacht. Logische Folge: Der Abstieg wartet. Nur ist der weder explosiv noch kraftvoll noch Teil des Trends. Denn Runterspringen ist nur vermeintlich Teil der Springen-Familie, eigentlich gehört es aber zum Genus des Fallens. Fallen würde die Gelenke jedoch zu sehr beanspruchen und beim Springen geht es doch um Gesundheit, darum, fit zu bleiben, sogar bis zum zweiten Frühling, englisch nicht zufällig Spring.
Könnten die Springer immer wieder auf etwas springen, ohne im Anschluss von irgendetwas entwürdigend heruntersteigen zu müssen, sie würden es vermutlich tun. Können sie aber nicht, also quälen sie sich mühsam von ihren Holzkästen, Bänken oder, wenn es hart auf hart kommt, Rücken ihrer Trainingspartner.
So folgt auf jeden noch so stolzen Sprung der leidende Abstieg, wird die eben noch präsentierte Virilität sogleich dem Spott preisgegeben. Kein Wunder, dass die, die trotzdem springen, meist Männer sind. Frauen springen viel seltener. Höchstens einmal im Monat. Das liegt an der Biologie: Frauen haben von Natur aus nicht so einen großen Sprung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin