Die Wahrheit: Lumpenhunde im Märchenland
Ein Ausflug ins fabelhafte Bayern befördert entzückende Erkenntnisse über das morbide Wesen der naserümpfenden Süddeutschen hervor.
E s ist immer schön, aus Berlin rauszukommen. Man will ja auch mal Menschen sehen, die einen nicht dauernd griesgrämig anpöbeln. Auf nach Füssen in Bayern!
Gleich im ersten Wirtshaus werden wir unter unverständlichen bayerischen Gutturallauten an einen Tisch befohlen, über dem an der Wand ein Gedicht in Frakturschrift prangt: „Ehre sei Gott in der Höhe! / Er hat die Berge so hoch gestellt / und tat damit seiner Weisheit kund: / Damit nicht jeder Lumpenhund, / mit denen die Täler so reichlich gesegnet, / dem fröhlichen Wanderer hier oben begegnet. / Ehre sei Gott in der Höhe!“ Willkommen in den bayerischen Alpen.
Wir Lumpenhunde erfahren, dass man in Füssen Schloss Neuschwanstein besuchen muss. Überhaupt ist es das eine Ding, das man in Deutschland gesehen haben muss. Walt Disney habe es schließlich als Vorlage für sein Schloss genommen und im Disneyland nachgebaut! Bei ausländischen Touristen ist es die beliebteste Sehenswürdigkeit neben dem Miniaturwunderland Hamburg! Das also ist Deutschland für Touristen: eine Vorlage für das Disney-Schloss, ein Miniaturwunderland und selbstverständlich Hitler. Lustiges Völkchen, diese Deutschen!
Das Schloss selbst ist von morbider Faszination, denn sein Erbauer, Märchenkönig Ludwig II., ist wegen Größenwahns für „geistig unzurechnungsfähig“ erklärt worden. Daraufhin hat er sich zusammen mit seinem Psychiater im knietiefen Wasser des Starnberger Sees ertränkt. Sehr glaubwürdig! „Geistig unzurechnungsfähig“, was soll denn das für ein Argument sein? Wo die doch Markus Söder zum Nachfolger gemacht haben!
Das Schloss selbst liegt ganz hübsch, aber Neuschwanstein ist noch mehr Fake als das Berliner Stadtschloss. Ludwig bestand auf Mittelalterstil, dabei wurde erst 1869 gebaut. Jeder zweite Geräteschuppen in Westfalen ist historischer. Außerdem hatte Ludwig Finanzierungsprobleme. Weswegen das Schloss nicht, wie geplant, nach drei Jahren fertig wurde – und da lästern die Bayern über unseren schönen Berliner Flughafen!
Dann haben sie nach sieben Jahren einfach den Bauherrn ersäuft, das Ding halbfertig gelassen und als Touristenattraktion eröffnet. Neuschwanstein war also nie mehr wirkliches Schloss als das von Disney. Ganze Stockwerke sind bis heute leer, ein Turmanbau fehlt, kurzum: Das Ding ist eine Bauruine.
Angesichts dieser Geschichte hat es etwas Absurdes, wie die Deutschen über die kitschige amerikanische Kulturlosigkeit die Nase rümpfen. Dabei ist Disneyland in Kalifornien nur 50 Jahre später eröffnet worden. Und das Schloss dort hat wenigstens alle Türme!
Jedenfalls sollte man die Bayern, wenn sie mal wieder über das dysfunktionale Berlin schimpfen, wo ihr schönes Geld verbrannt wird, an ihr albernes Märchenschloss erinnern. Ich meine: Der BER ist immerhin fertig geworden! Und niemand hat Klaus Wowereit dafür ersäuft! Es sind schon Lumpenhunde, diese Bayern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja