Die Wahrheit: Im Rausch der Doppelmoral
Die Hamburger Kneipe Bierkiste verbietet jeden Cannabis-Genuss – da ist sich die alteingesessene Trinkbesatzung einig, dass das Saufen genügen muss.
A uf dem Weg zum besten Hamburger Falafel-Laden liegt die Bierkiste. Die Bierkiste ist eine dieser Raucherkneipen, in der zu jeder Nacht- und Tageszeit dieselben drei oder vier Stammgäste hocken, Kette rauchen und sich abgestandene Luft und schales Bier zu Gemüte führen. Nie änderte sich daran etwas. Bis ich pünktlich zum ersten April dort Schilder entdeckte mit durchgestrichenen Hanfpflanzen und dem Text „Diese Gaststätte ist und bleibt Drogenfrei (sic!) – Das Team von der Bierkiste“.
Wie war die sonst so äußerst rauschfreudliche „Bierkiste“ zu dieser Entscheidung gelangt? Um das herauszufinden, besorgte ich mir eine HSV-Kutte und ließ sie über Nacht in einer St.-Pauli-Fankneipe hängen. Am nächsten Tag stank sie nach Rauch, absichtlich darüber geschüttetem Bier und war ramponiert. Das sollte meine Verkleidung sein, denn die Typen abgewrackter Seebär, einsamer Malocher und herzlich hustende Ex-Sekretärin gab es in der Bierkiste schon, nicht aber den Fußballfan.
Froh über die Komplettierung ihrer Kneipenrunde nahm mich die Stammmannschaft dann auch mit offenen Hähnen auf. Nach den ersten sechs verbrüdernden Holsten fragte ich frei heraus, warum das Schild dort hing. Seebär Hanno tischte mir direkt armdickes Seemansgarn auf. Er habe im Hafen von Goa mal so viel Haschisch geraucht, dass die Schiffsratten vor seinen Augen begannen Cancan zu tanzen. Noch heute fange er deswegen nach dem zehnten Bier an, doppelt zu sehen.
Rolf, der einsame Malocher, hielt einen unzusammenhängenden Vortrag darüber, dass er ja früher in der SPD war, aber jetzt CDU wähle, weil Olivia Jones den einfachen Puffbesuchern mittlerweile nicht mal mehr den Rost am Mast gönne, und überhaupt sei man hier in Hamburg, da heiße es Binnenalster, nicht Binnen-I, und „gendern“ fände er nur gut, wenn ein Sachse damit sage, dass gerade sein Schiff untergehe. Zumindest meine ich es so zu erinnern. Ganz sicher endete er aber mit „… und wenn Fritze Merz keinen Zug dran tut, dann ich auch nicht.“
Schließlich wurde auf Ex-Sekretärin Juttas Vorschlag hin abgestimmt, ob die Bierkiste Cannabis verdammen solle oder nicht. Alle stimmten dafür. In Wahrheit habe natürlich sie selbst entschieden, erzählte mir die Kneipenbesitzerin später, und zwar ganz pragmatisch: Wer stoned ist, kann weniger saufen. Und das ist schlecht fürs Geschäft. Speed, Meth und Koks hingegen seien wegen ihrer sauffördernden Wirkung willkommen, führte sie zum beschwingten Takt von „Griechischer Wein“ ausführlich aus.
Ich hatte also meine Antwort und verließ die Bierkiste wieder mit zwei mittlerweile tränenden Augen. Trotz der Herzlichkeit der Saufbrüder- und -schwestern zündete ich mir vor der Tür einen Joint an und blies ein bisschen Rauch in die Kneipe. Das hatten die Insassen der Bierkiste sich mit ihrer Doppelmoral schlicht und einfach verdient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!