Die Wahrheit: Früh turnt sich
Fitnessstudio heißt jetzt oder schon länger Gym – und der Erziehungsberechtigte kommt schlicht nicht mehr mit, wenn der Sohn so mondän sportelt.
A m Abend sagt die Frau: „Der Jüngere geht jetzt mit seinen Freunden ins Gym.“
„Ins Dschümm?“, frage ich irritiert, „was soll das denn sein?“
„Herrjeh, kriegst du denn gar nichts mit von der Welt da draußen? Ins Fitnessstudio.“
„Das Fitnesstudio heißt jetzt Gym? Was soll denn der Scheiß wieder?“
„Das ist eben so. Fitnessstudio ist nicht mehr cool.“
„Fitnessstudio war noch nie cool!“
„Vielleicht deswegen. Jetzt heißt es eben Gym.“
„Weil das cooler klingt?“
„Vermutlich.“
„Wegen Gymnastik?“
„Womöglich.“
„Oder wegen Gymnasium? Gymmiebaum? Gymäkologe?“
Gymnasion oder so ähnlich
Die Frau zuckt mit den Schultern. Ich zucke mit dem Handy. Google, Suchbegriff „Gym“, Abschnitt „Weitere Fragen“: „Warum heißt das Fitnessstudio Gym?“ Ich lese: „Gymnasium ist die lateinische Form des griechischen Wortes gymnasion, und das bezeichnete schon in der Antike ein Gebäude, das etwas mit der Ausbildung junger Männer zu tun hatte. In seinem Ursprung war das gymnasion wahrscheinlich ein Ort, an dem schwer bewaffnetes Militär trainierte.“ Siehste!
Am Abend stelle ich den Sohn zur Rede: „Du gehst ins Fitnessstudio?“
Er sieht mich empört an: „Ich würde doch niemals in ein Fitnessstudio gehen! Das wäre ja wie Geräteturnen!“
„Na eben!“, ich bin erleichtert. Der Apfel fällt eben doch nicht weit vom Stamm.
Der Apfel sagt: „Ich gehe bloß mit meinen Freunden ins Gym!“
Ich schaue das verdorbene Früchtchen fassungslos an: „Aber das ist doch dasselbe!“
„Nein, ist es nicht“, beharrt er, „Gym ist cool. Das machen jetzt alle.“
Es ist eine große Wahrheit, die er da ausspricht. Denn dass sich da eine regelrechte Jugendkultur entwickelt hat in den letzten Jahren, habe ich hinter vorgehaltener Hand schon von manch beschämten Freunden gehört.
„Meiner macht jetzt regelmäßig Krafttraining“, haben sie nach vier bis fünf Bier gebeichtet, oder: „Meiner hat jetzt einen Ernährungsplan und mischt sich dauernd Protein-Drinks!“
„Protein-Drinks? Der ist doch jetzt 16, der könnte doch Bier trinken!“
Nun also der eigene Sohn. „Warum machst du freiwillig Sport an Geräten?“
„Na, weil es Spaß macht und gesund ist!“
„Verräter!“, zische ich ihn an, und: „Könnt ihr nicht Drogen nehmen, wie sich das gehört? Ich meine, holt euch Hasch, zieht euch einen durch, haben wir schließlich jetzt für euch erkämpft!“
Da guckt er mich mit großen Augen und sagt: „Hat doch sowieso schon jeder gekifft und hat niemanden interessiert.“
Na ja, vielleicht wird dann wenigstens das Kiffen ganz schnell uncool, wenn jetzt all die Spießer, die sich ihr Leben lang an dieses absurde Verbot gehalten haben, auch noch damit anfangen, und dann auch noch mit Hilfe der FDP. Da lassen sie wahrscheinlich bald alle die Finger vom Gras.
Aber deswegen jetzt gleich ins Gym zu gehen, das kann’s doch nun wirklich auch nicht sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei