Die Wahrheit: Höhere Gewaltlosigkeit
Wenn philosophisch hochgerüstete Jäger einen Kritiker mit ihren monströsen Geländepanzern direkt in die moralische Zwickmühle fahren.
E ine Freundin, die ich selten sehe, fragte mich nach einer Veranstaltung, ob sie mich im Auto ein Stück mitnehmen dürfe. Eigentlich wäre ich lieber zu Fuß nach Hause gegangen. Es hatte, während wir den ganzen Tag Vorträge hörten, draußen zum ersten Mal in diesem Winter richtig geschneit und der Spaziergang durch den frischen Schnee wäre köstlich gewesen. Aber wir hatten in den Kaffeepausen kaum ein paar Worte gewechselt, daher willigte ich ein, so könnten wir im Auto noch ein wenig reden.
Das Auto selbst war allerdings eine unangenehme Überraschung: ein unmäßig großes Gefährt, das ich in einem Ausruf des Unglaubens als SUV bezeichnete – nie hätte ich ihr ein solches Monstrum zugetraut. „Aber nein, kein SUV!“, wehrte sie ab: Es sei das Auto ihres Freundes, der – auch das war mir neu – Jäger sei; kein vernunftwidriger Straßenpanzer also, sondern seriöser Geländewagen.
Nun hatte ich gerade vor ein paar Tagen einen polemischen Radiobeitrag verfasst gegen schriftstellernde Neo-Jagdromantiker, die ihr bewaffnetes Lifestyle-Hobby zur gesellschaftskritischen Anti-Entfremdungs-Lebensphilosophie aufblähen, und insbesondere den paramilitärischen Geländewagen hatte ich zum Symbol für die geistige Behäbigkeit der neuen Jägerphilosophen stilisiert. Und nun stand ich im Begriff, in so ein Ding einzusteigen.
Eine peinliche Zwickmühle: Deswegen jetzt doch nicht mitzufahren, wäre grob gegenüber der Freundin gewesen, prinzipienreiterisch, dogmatisch; andererseits stand gewissermaßen meine intellektuelle Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Da mir aber keine Ausrede einfiel, war ich fast so weit, mich ins Schicksal zu fügen und in das Kadaverfahrzeug einzusteigen – da entdeckten wir einen unter den Scheibenwischer geklemmten Zettel: „Bitte melden Sie sich an der Rezeption.“
Die Rezeptionistin kam aber schon selbst auf uns zugelaufen: „Ist das Ihr Auto? Ich halte seit Stunden Ausschau!“ Wir erfuhren: Ein Bus war im Schnee gerutscht und hatte ein anderes Auto auf das geparkte Jägerauto geschoben. Hinten links war, wir hatten es in der Dämmerung übersehen, eine hübsche Delle. Die Polizei war dagewesen und alles. Das werde jetzt wohl länger dauern, sagte die Freundin zu mir, so lange wolle sie mich nicht warten lassen. Wir verabschiedeten uns.
So kam ich fein aus der Sache raus und doch noch zu meinem Schneespaziergang. Doppelt unbescholten – weder Fanatiker, der aus ideologischer Kompromisslosigkeit Freunde verprellt, noch Beifahrer, praktisch Mittäter, im Mordmobil – ging ich auf dem gütig knirschenden Schnee meines Wegs, still bedenkend, wie elegant mein Problem gelöst worden war: Da hatte mein Schutzengel oder vielleicht sogar der liebe Gott persönlich es schneien lassen und dann geistreicherweise ein Fahrzeug des öffentlichen Personennahverkehrs eingesetzt, um mich vor privatmobiler Kompromittierung zu bewahren.
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