Die Wahrheit: Ratzfatz nach Flensburg

Ein neuartiger Autosimulator bietet hyperrealistisches Fahrvergnügen mit fast echten Unfallopfern.

Das Foto zeigt vier Personen mit VR-Brillen in einem Simulator

Die Simulation ist meist spannender als das reale Erlebnis Foto: Joan Mateu Parra/ap

Der Wagen beschleunigt von null auf hundertvierzig in fünf Sekunden, der Porsche-Motor heult auf, der Wagen rast die nächtlich leere Hauptstraße hinunter, der Fahrer überfährt eine rote Ampel, dann noch eine. An der nächsten roten Ampel sagt der Beifahrer: „Vorsicht, da ist ein Blitzer.“ Der Fahrer steigt in die Eisen, die beiden Insassen werden gehörig in die Gurte gepresst, doch der SUV bremst und kommt punktgenau vor der Ampel zum Stehen

Bernd Mönckemüller, der Fahrer, ist von den Socken. Der 35-jährige Deutschlehrer ist begeisterter Autofahrer seit seiner Jugend. Doch obwohl er einen Führerschein sein Eigen nennt, fährt er nicht. Zum einen kann er sich gerade den Sprit nicht leisten, da über die Hälfte seines Einkommens für die Miete draufgeht.

Zum anderen gab es dieses traumatische Erlebnis vor einem Jahr. Als Mönckemüller nach einem anstrengenden Elternabend von der fünf Minuten entfernten Schule nach Hause fuhr, fand er keinen Parkplatz. Seitdem traut er sich morgens nicht mehr loszufahren.

Revolutionäres Konzept mit Panzern

Deshalb war Mönckemüller begeistert, als er im Internet vom Autosimulator ARS-1000x erfuhr. Das Prinzip ist einfach: „Mit dem Autosimulator“, erklärt Andreas R. Schmidt, der Erfinder und Betreiber, „kann jeder Auto fahren – ganz ohne Auto.“ Liebevoll klopft er auf das Hydraulikgestänge des drei Meter hohen Stahlungetüms.

„Ursprünglich wurde es zu Schulungszwecken eingesetzt. Aber wir haben es weiterentwickelt. Zum einen ist die Grafik viel realistischer als in alten Simulatoren, zum anderen kann man die technischen Spezifikationen und Fahreigenschaften jedes Autos abrufen, das seit 1990 auf dem Markt war. Vom Smart bis zum SUV.“

Andreas R. Schmidt untertreibt maßlos, denn es sind nicht nur alle Pkw verfügbar, sondern auch Lkw, Busse, landwirtschaftliche Geräte, sogar Panzer. Ein revolutionäres Konzept. „Vor allem in Zeiten“, sagt Schmidt, „in denen nur noch wenige Menschen in der Stadt Auto fahren können oder dürfen. Die Straßen sind zugestaut, überall lauern Tempolimits, Fußgänger, Radfahrer und Klimakleber.“

„Das Schöne ist ja“, sagt Lehrer Mönckemüller, „dass ich im Simulator alles tun kann, was ich mit einem normalen Auto im Alltag nicht kann. Mich nicht an die Straßenverkehrsordnung halten, zu schnell fahren, parken, wo ich will …“

„Nee, nee, nee“, unterbricht ihn Andreas R. Schmidt lachend, „das Schöne an unserem Simulator ist, dass wir alles bis ins Allerkleinste simulieren. Das sind nicht nur die Fahreigenschaften – der Mercedes bremst besser als der Audi – und die Landschaft oder Straßenansicht – die haben wir fotorealistisch von Google extrapoliert –, sondern auch alle physikalischen und gesetzlichen Regeln. Wenn Sie zu schnell fahren, die Vorfahrt nehmen, falsch abbiegen oder quer über den Alexanderplatz fahren, meldet das System das ratzfatz nach Flensburg. Wir hatten schon Kunden, denen wurde am Ende der Simulation sofort der Führerschein abgenommen – in echt.“

Der ARS-1000x ist sogar „echter als echt“, urteilte erst neulich das ADAC-Magazin Motorwelt. Fachblatt AutoBild schrieb, Schmidts Autosimulator sei „Wellness für die geschundene Autofahrerseele“ und Die Welt rief begeistert: „Geil, geil, geil!“

Simulation bis ins Krankenhaus

Ganz so realistisch, wie es sein könnte, ist das System allerdings nicht. „Wenn Sie in unserem Simulator einen Fußgänger umkacheln, werden Sie nicht vor Gericht gestellt“, sagt Schmidt. „Wie gesagt, es gibt nur Punkte in Flensburg. Und von dem Plan, aus Kompensationsgründen für jeden simulierten Verkehrstoten einen auf der Straße umzufahren, mussten wir leider Abstand nehmen. Ansonsten ist das Fahren bei uns im Simulator genauso realistisch wie im richtigen Auto, mit allen Geräuschen, Gerüchen, Gefühlen – vielleicht sogar realistischer. Wir hatten Kunden, die konnten nach einem Besuch bei uns nicht mehr mit ihrem eigenen Auto fahren.“

Angeschnallt sollte man auf jeden Fall sein, nicht nur wegen der StVO. „Wenn Sie mit dem Gerät hier volle Kanne gegen eine Mauer oder einen Baum simulieren oder bei 250 eine Vollbremsung hinlegen, reagiert das System mit denselben Kräften wie ein richtiges Auto. Sprich, Sie fliegen durch die Windschutzscheibe. Und die müssen Sie natürlich bezahlen. Wir hatten hier schon Kunden, die haben ihre Simulation mit einem Besuch im Krankenhaus beendet. In echt. Sogar einen Todesfall gab es schon“, berichtet Schmidt begeistert. „Wenn das nicht realistisch ist.“

Noch realistischer mit Diesel

Die meisten Kunden, denn eigentlich kommen nur Männer zu Schmidt, nutzen den ARS-1000x in der Freizeit, um mal wieder richtig Auto fahren zu können. Das Gerät wird aber auch von Fahrschülern gebucht, um zu üben. Speditionen nutzen es, um ihre Fah­re­r umzuschulen und Autohäuser besuchen An­dreas R. Schmidt mit ihren Kunden, wenn diese Probefahrten mit verschiedenen Modellen machen möchten, sogar mit Fahrzeugen, die erst noch auf den Markt kommen.

„Da können Sie heute schon einen Wagen fahren und kaufen, der in einem halben Jahr erst ausgeliefert wird“, sagt Schmidt. Wegen der großen Nachfrage lässt er bereits zwei weitere Simulatoren bauen, und im nächsten Jahr kommt noch ein Flugsimulator dazu. „Da kann man mit allen Flugzeugen fliegen, auch mit russischen Kampfjets und mit der Diamond DAG62, mit der Friedrich Merz zur Christian Lindners Hochzeit geflogen ist. Da kann man sich wie ein echter Promi fühlen.“

Langfristig arbeitet Schmidt daran, dass alle Bürger einen Autosimulator für zu Hause bekommen. „Na ja, für zu Hause nicht gerade, dieses riesige Ding passt in keine Wohnung, aber man kann es auf der Straße ­installieren, wo heute noch Autos parken.“ Das ist zumindest umweltfreundlicher als jeder Verbrenner, denn der Simulator wird mit Strom betrieben und stößt keine Abgase aus. „Haha“, sagt Andreas R. Schmidt, „der ARS-1000x wird zwar mit Strom betrieben, aber den stellen wir im Keller mit einem Dieselgenerator selbst her, damit die Simulation noch realistischer ist. Langfristig können wir auch auf E-Fuels umsteigen.“

Draußen, vor der unscheinbaren Fabrikhalle in einem Industriegebiet am Rande der Stadt, in der der ARS-1000x untergebracht ist, schließt Lehrer Mönckemüller sein Fahrrad auf und fährt nach Hause. Ab morgen spart er für die nächste Fahrt im Simulator.

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