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Die WahrheitDer Horst-Mathilde-Tiffany-Skandal

Auf ein gutes Jahr 2024! Alles über die Rebellion der Postkarten und die Rettung eines Neujahrskarpfens in silvestrigen Jahresendzeiten.

Illustration: Ulrike Haseloff

Am Silvesterabend war die Stimmung im Wohn­zimmer mehr als auf­geheizt. Die Bowle gärte im Rumtopf, als gäbe es kein Morgen, das Sofa und der Tisch vibrierten vor Aufregung so stark, dass die Gläser nur so klimperten und die Katze hatte sich schon lange unter sämtliche Möbel verkrochen. Die Feuerwerkskörper und Wunderkerzen zappelten ungeduldig und unbeherrscht herum. Dabei war es erst drei Stunden vor Mitternacht!

Die ausgelesenen Weihnachtskarten hatten sich auf dem Kaminsims versammelt, um den neuesten Tratsch auszutauschen. Die Silvesterkarten, die unternehmungslustig aus ihren Umschlägen auf dem Sideboard lugten, betrachteten die Weihnachtskarten amüsiert. All diese armseligen Motive konnten sie nur milde belachen: Da ein Engel, dort ein paar Kerzen und dann noch Bratäpfel, naive Malerei von schlittschuhlaufenden Kindern mit Schals, spielende Kätzchen mit Tannenzweigen in den Ohren und natürlich Bilder von Schaukelpferden und Schneemännern in allen Formen und Farben.

Die Silvesterkarten fühlten sich dagegen cool. Marvin zum Beispiel zeigte einen Betrunkenen mit einem ­Luftballon in der Hand, der von seiner Frau eins mit dem Nudelholz übergebraten bekam. Ludger hatte einen Schornsteinfeger, der gerade ein Schwein jagte, das ihm ein Kleeblatt geklaut hatte, und Tiffany gab damit an, dass ihr Dackelmotiv zum Jahreswechsel überaus originell sei. Horst hatte ­einen Hornhecht und eine Seegurke. „Das sollten wahrscheinlich ein ­Rollmops und ein Senfberliner mit Pfefferfüllung sein“, flüsterte Tiffany ihm zärtlich zu, denn sie war schon lange ein bisschen in Horst verliebt.

Horst hingegen liebäugelte mit Ma­thilde, einer von den Weihnachtskarten. Mathilde selbst wurde sogar unter ihresgleichen spöttisch belächelt, weil sie erstens nur eine rote Christbaumkugel zeigte und zweitens nicht mal eine Briefmarke besaß. Dennoch würden die Weihnachtskarten es niemals dulden, wenn Mathilde etwas mit Horst anfinge. Und die Silvesterkarten belauerten Horst genau, denn sie wollten auch keine Weihnachtskarte in ihren Reihen haben. Sie hatten halt alle den Dünkel, etwas Besonderes zu sein.

Strip-Poker und Sorgen

Die Trauerkarten in der Schublade kicherten vergnügt vor sich hin, denn sie bekamen alles mit und waren froh, mit dem ganzen Brimborium nichts zu tun zu haben. Die Marvel-Karten spielten wie immer Strip-Poker. Der Tannenbaum, der der Wohnzimmergesellschaft sowohl als Klassensprecher als auch als väterlicher Freund vorstand, nadelte sorgenvoll vor sich hin.

Da passierte etwas: Ein Windhauch wehte Horst vom Sideboard, mitten hinein in die Weihnachtskarten. Na, das war ein Hallo! Die Silvesterkarten beschuldigten die Weihnachtskarten, Horst entführt zu haben, die Weihnachtskarten behaupteten, Horst habe Mathilde nachgestellt, die Trauerkarten schütteten sich aus vor Lachen über diese bizarre Szenerie, die Marvel-Karten hielten im Pokerspiel inne, blickten kurz auf und spielten dann weiter, und der Tannenbaum nadelte sorgenvoll immer heftiger. Die Bowle blubberte gefährlich im Rumtopf, ganz so, als wolle sie gleich explodieren. Das machte die Feuerwerkskörper wütend, denn sie waren der Ansicht, wenn hier irgendwas zu explodieren hätte, dann seien es ja wohl sie.

Die Gläser auf dem Tisch klimperten sensationslüstern, eines bekam vor Aufregung einen Sprung. Sogar die Katze wagte sich zögernd aus ihrem Versteck, sie war wirklich arg neugierig. „Was’n hier los?“, schnurrte sie dem Tannenbaum zu. Der schüttelte ratlos sein Lametta, zuckte die Zweige und nadelte, dass es nur so eine Art hatte.

Die Katze und der Tannenbaum waren so mit Herumrätseln beschäftigt, dass sie fast nicht mitbekamen, wie die Feuerwerkskörper versuchten, die Wunderkerzen heiß zu machen, während die Silvesterkarten hinterrücks Richtung Badezimmer robbten, um aus purer Rebellionslust den Neujahrskarpfen, der das Festessen für den nächsten Tag sein sollte, aus der Badewanne zu befreien.

Brodelnde Bowle und Streit

Den Horst-Mathilde-Tiffany-Skandal hatten sie schon ganz vergessen. Die Marvel-Karten gerieten in Streit, die Bowle brodelte beängstigend. Die Weihnachtskarten riefen den Silvesterkarten zu: „Haltet ein in eurem unseligen Tun! Wenn Ihr den Karpfen rauslasst, dann werden wir alle untergehen!“

Und genauso geschah es: Die Silvesterkarten befreiten den Karpfen, indem sie die Feuerwerkskörper überredeten, die Badewanne zu sprengen. Dadurch wurden sowohl sie als auch die Feuerwerkskörper und die Weihnachtskarten pitschnass. Der Tannenbaum verlor vor Schreck alle Nadeln, die Bowle flüchtete unter den Schrank, die Katze hob eine Tatze und zischte fauchend davon. Dann ging alles in einer Feuersbrunst auf. Die gesamte Szenerie sah verheerend aus. Nur die Trauerkarten in der Schublade kicherten weiter vergnügt vor sich hin, und die Marvel-Karten hatten von all dem gar nichts mitbekommen.

Plötzlich ein Rasseln im Türschloss! Die Eheleute Korbes kamen von der ­Silvesterparty im Ruderklub nach Hause. Herr Korbes hatte den Abdruck eines Lippenstiftmunds auf der Wange, seine Krawatte saß schief und er hatte einen Luftballon in der einen und eine halbleere Sektflasche in der anderen Hand. Frau Korbes trug eine rote Nase und ein blaues Hütchen, auf dem groß die Ziffern 2, 0, 2, und 4 prangten, und pustete unentwegt in eine Tröte. Da legte die Wohnzimmergesellschaft ­eilig und eifrig ihre Streitigkeiten bei, räumte alles auf, reparierte das Badezimmer, half dem Karpfen wieder ins Wasser, rief die Katze zurück, beruhigte die Bowle und klebte dem Tannenbaum schnell sämtliche Nadeln wieder an.

Die Eheleute Korbes sollten es doch zum Jahresbeginn recht gemütlich ­haben, denn sie wollten schließlich noch Blei­gießen. Dann schlug es dreizehn, und die Welt war wieder völlig in Ordnung. Der Karpfen wurde dann am sechsten Januar des herrlichen, jungen 2024 ausgewildert und gründete eine kinderreiche und glückliche Familie. Frohes neues Jahr!

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