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Die WahrheitMackern auf die Omme

Leider sind nur Frauen, Lesben, Inter-, Trans- und sonst wie queere Personen zum Konzert zugelassen, aber nicht der edle Spender für die Punkkapelle.

R aimund war beleidigt. Er kuckte über die Theke des Café Gum hinweg ins Nichts und presste die Lippen aufeinander.

„Jetzt komm wieder runter“, sagte Theo, „es ist, wie es ist!“ – Raimund blickte ihn verächtlich an. „Ohne mich gäbe es diese Girlgroup gar nicht!“, zischte er. – „Sag lieber nicht ‚Girlgroup‘“, mahnte Rudi, der Blödmann, „ich glaube, das mögen die nicht.“

Vor einem Jahr hatte Raimund die alten Instrumente aus seiner Zeit bei der Punkkapelle „Der Karierte Schizo“ an die Clara-Schumann-Musikschule gegeben. Die Schule hatte ein Projekt zur Förderung von Schüler- und Schülerinnenbands gestartet, aus dem eine Noiseband hervorging, die erst auf Youtube, dann auf Tiktok mächtig Alarm machte und nun ihr erstes Konzert im Alten Gaswerk gab. Selbstverständlich wollte Raimund hin. Doch leider waren nur Frauen, Lesben, Inter-, Trans- und sonst wie queere Personen zugelassen. Nicht aber solche wie Raimund.

„Hast du dir mal überlegt, warum die Combo ‚Allen Mackern auf die Omme!‘ heißt?“, fragte Theo. – „Klar. Super Name, voll meine Meinung!“, rief Raimund. – „Aber du bist ein Macker“, sagte Theo. – „Bin ich nicht!“ – „Kuck dich an: Weiß, cis, hetero, Boomer, Kerl, kurz: Macker!“ – „Es kommt doch drauf an, was hier drin ist!“ Raimund tippte sich auf die Stirn. – Theo schüttelte den Kopf: „Eben weil du ein Macker bist, können in deiner Birne auch nur Mackergedanken sein.“

„Unsinn!“, rief Raimund: „Ich war schon Feminist, bevor die meisten Frauen wussten, was Feminismus überhaupt ist.“ – „Das kann ich bezeugen“, mischte sich Rudi wieder ein: „Er hat schon bei der Jugendfreizeit am Bärentalsee im Sommer 76 dafür gesorgt, dass nur die Jungs fürs Kochen und Abspülen zuständig waren. Ich hab ihn gehasst!“ – „Ich habe sogar eine lila Latzhose besessen“, grinste Raimund. – „O Gott“, schnaufte Theo, „das ist echt ein Argument. Aber ich fürchte, sie werden nicht mal das anerkennen.“

Er machte eine kurze Pause. Dann sagte er: „Remember?“, und deutete auf seine Nase, die seit den späten Neunzigern eine Rechtskurve machte. Er hatte damals tief in der Nacht im „Durruti 22“ Bier für eine Spontanparty holen wollen und ignoriert, dass Dienstag war und Männer keinen Zutritt hatten. „Verpiss dich, heute ist Frauen-Lesben-Kneipe!“, hatte die Türsteherin gesagt, doch Theo meinte, dass er sich an ihr vorbeidrängeln könnte, weil er ­einen gewissen Ruhm als stadtbekannter Anarcho genoss. Ein Irrtum, wie sich zeigte.

„Hier“, rief Rudi, der Blödmann. Er hielt sein Smartphone hoch, auf dem er einen Wiki­pedia-Artikel aufgerufen hatte, und sagte: „Polyamorie ist auch irgendwie queer, steht hier!“

„Ha, danke!“, rief Raimund und sprang auf. Bevor wir reagieren konnten, sauste er auf und davon, und Theo packte Rudi am Kragen und raunte ihm zu: „Zur Strafe bleibst du nüchtern, Freundchen, und fährst ihn nachher in die Notaufnahme!“

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Joachim Schulz
Joachim Schulz wurde 1963 an der Nordseeküste geboren und in Regen, Wind und Nebel großgezogen. Er lebt mittlerweile in einer kleinen Welt in der hessischen Provinz, wo unablässig die großen Fragen des Lebens erörtert werden, und ist seit 1996 im Einsatz für Die Wahrheit.
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2 Kommentare

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  • Es lebe das Café Gum. Schafft ein, schafft zwei, schafft viele Café Gums überall. Ich liebe Café-Häuser. Zu Fragen geschlechtlicher Identitäten setzt Joachim Schulz dort eine feinsinnige Pointe, die natürlich piekst, wie sich das für einen Wahren Artikel gehört. Inklusion-Exklusion – Enemenemuh und raus bist Du. Raus bist Du noch lange nicht? Alle Café Gums die ich kenne, bieten Möglichkeiten der (RE-)Inklusion. Wie Seifenblasen schweben dort die Bubbles – wenn sie sich berühren platzen sie oder schlucken einander. Plötzlich ist so eine Café-Bubble dann ein Ort wo alle Leut` aus allen Lebenswelten zusammen kommen. Sogar irre gewordene Psychiater (das ist nur zu verständlich) folgen dem Duft eines Schnitzelbrötchens und finden zumindest vorrübergehend Heimat. Andere finden Asyl.



    Nicht auszudenken, wenn ein solches Café aufgegeben müsste und ein Kneipenwirt Petris müsste heimatlos auf den Straßen traurige Rembetiko-Lieder vortragen für einen kümmerlichen Lebensunterhalt. Als ich über den Rembetiko nachstöberte fand ich ein interessantes Beispiel für „Spontane Inklusion“.

    *Dancing Sorbas in the street*







    www.youtube.com/watch?v=yvEIMrqZCjc

    In diesem Sinne: Es lebe das Café Gum

  • Jo. Ersetzt man man geschickt die ganzen Identitätschubladen im Text durch Begriffe aus der Botanik und Bundeskleingartenverordnung, könnte das auch ein Gespräch so auch irgendwo zwischen Ligusterhecke und Hortensienrabatte stattgefunden haben.