Die Wahrheit: Erdinger Erdlinge
Lebenslänglich Bayer: Zur Großdemo gegen das Heizungsgesetz vorige Woche kamen ganz normale Leute wie Markus Söder und Hubert Aiwanger.
A us Erding kommt ein Weißbier, das in der halben Welt getrunken wird, obwohl – oder weil es nicht besonders viel Geschmack hat. Es gibt ein Spaß- und Wellnessbad, das sich „die größte Therme der Welt“ nennt und das meiden sollte, wer einen schönen Tag verbringen will.
Außerdem hat John F. Schrank 1876 in Erding das Licht der Welt erblickt, jener in die USA ausgewanderte Barkeeper, der 1912 auf den Präsidentschaftskandidaten Theodore „Teddy“ Roosevelt geschossen hat, was dieser gottlob überlebt hat. Mehr gab es über diese Gemeinde bei München mit ihren heute 36.000 Einwohnern eigentlich nie zu sagen. Bis zum vergangenen Samstag.
Da fand eine Großdemo unter dem Motto „Stoppt die Heizungsideologie“ in Erding statt, die man getrost als Dammbruch bezeichnen kann.
Kabarettistin Monika Gruber, die einmal mehr den Beweis angetreten hat, dass es auch im sonst eher gemächlichen Bayern Menschen gibt, die schneller sprechen können als denken, hatte geladen. Mehr als 10.000 Menschen waren gekommen, ganz „normale Leute“, wie die Redner – unter ihnen Ministerpräsident Markus Söder und der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger – immer wieder betont haben.
Normale Leute? Zu solchen gehören für die Redner, unter ihnen ein Großmetzger und der Chef des bayerischen Waldbesitzerverbands auch Leute mit AfD-Insignien, Typen, die Parolen wie „Hängt die Grünen, so lange es noch Bäume gibt!“ vor sich her trugen, und vor allem solche, die besonders laut grölten, wenn ein besonders schlechter Witz über das Gendern gemacht wurde.
Das Wort „Normalbürger“ gehört seit ein paar Wochen zum Normalwortschatz von Aiwanger und Söder. Aber wer ist in ihren Augen normal?
In Erding wurde das ganz deutlich. Normal sind demnach Leute, die mit Nazis auf Demos gegen die grüne Diktatur von denen da oben in Berlin gehen. Ebenso normal sind Männer, denen es nichts ausmacht, auch mal 50, 60 Stunden in der Woche zu arbeiten, statt Bürgergeld zu kassieren, obwohl sie arbeiten könnten.
Bewohner von Einfamilienhäusern gehören zu den Normalen, Landwirte, Fleischfresser und solche, die sich das Autofahren nicht verbieten lassen. Ein Waldbesitzer ist ein stinknormaler Mensch. Auch Frauen können normal sein, Monika Gruber zum Beispiel. Aber auch Mütter sind normal und solche, die noch Mama und Papa sagen, sind es auch.
Zum Normalitariat gehören Hausbesitzer, die keine Erbschaftsteuer zahlen wollen, zum Heizen Holz verbrennen und drei Kinder haben. Normal sind Leute, deren Familien seit Generationen in Erding leben, einen Handwerksbetrieb führen und – die selbstverständlich – zur ländlichen Bevölkerung gehören.
Und die anderen? Die sind „unnormal“, wie Hubert Aiwanger gesagt hat. Was würde er wohl mit den Unnormalen machen, wenn er sich wie angekündigt die Demokratie zurückgeholt hat? Man möchte es nicht wissen. Erding macht Angst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken