Die Wahrheit: Dinosaurier mit Pauke

Die größte Rückrufaktion seit Menschengedenken: Eine Expertenkommission verkündet in Berlin endgültiges Aussterben als gesichert.

Farbige Illustration: Dinosaurier, die Pauke schlagend auf eine Klippe zulaufen und sich in die Tiefe stürzen

Illustration: Dorthe Landschulz

Die Menschheit stirbt aus. Zu diesem Ergebnis kam am vergangenen Wochenende überraschend die Expertenkommission „KlimaX“ in einer Klausurtagung in Berlin.

„Nach längerer Beratung sind wir zu dem Schluss gekommen, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr einzuhalten ist“, sagte Christoph Lindner von der FDP Lüneburg, der Vorsitzende der Kommission, zu Beginn der eilig einberufenen Pressekonferenz auf den Stufen des Umweltbundesamtes. Der dunkelhaarige Zwei-Meter-Mann mit Vollbart und Brille wird nicht nur wegen seines Namens gern mit dem Parteivorsitzenden der FDP verwechselt.

„Und falls doch, bringt es nichts mehr. Der Klimawandel wird kommen. Die Menschheit wird aussterben. Das hatte sich ja vor ein paar Wochen schon angedeutet, als Richter Christoph Weyreuther vom Berliner Amtsgericht Tiergarten während eines Verfahrens gegen eine Klimaaktivistin sagte: ‚Die Dinos sind auch ausgestorben. Der Mensch wird es sowieso. Das lässt sich nicht verhindern, dafür ist er zu dumm.‘ “

Deutschland kann aufatmen. Endlich sagt es mal jemand. Der Grundwasserspiegel sinkt, die Meeresspiegel steigen. Die Eisberge schmelzen, der Schnee bleibt aus. Wo es nicht zu heiß wird, wird es zu kalt. Vor allem Politiker sind jetzt mehr als erleichtert, standen sie doch in den letzten Jahren ständig in der Kritik, gar nichts oder nur das Falsche gegen den Klimawandel zu unternehmen.

Wichtigere Themen

„Endlich ist die Klimakatastrophe kein Thema mehr und wir können uns den wichtigen Themen zuwenden“, sagt Alois Hugenbichler von der CSU Sachsen-Anhalt, der stellvertretende Vorsitzende der zweiköpfigen Klimakommission. „Wenn wir nichts gegen den Klimawandel tun können, wäre es verantwortungslos, Kraft und Geld dort hineinzustecken, was woanders gebraucht wird. Gelder, die bisher für Klimaschutz und Umwelt ausgegeben wurden, können für die Aufrüstung der Bundeswehr, für den Bau neuer Autobahnen und den Flüchtlingsschutz – also den Schutz vor Flüchtlingen – verwendet werden.“

Für die Liberalen kommt die Einschätzung der Kommission nicht überraschend. „Wir hätten uns allerdings schon vor Jahren solch eine Entscheidung gewünscht, vor allem von der alten Bundesregierung“, sagt Lindner. „Dass die Menschheit ausstirbt, muss der Markt entscheiden. Wenn es keinen Bedarf für das Produkt Mensch mehr gibt, dann wird das eben vom Markt genommen. Man muss sich das wie eine sehr, sehr große Rückrufaktion vorstellen. Vielleicht kommt eine andere Spezies an die Macht, die der Umwelt besser gewachsen ist. Vielleicht Echsen, die immer größer und größer werden und auf zwei Beinen laufen können. Oder sprechende Ameisen.“

Aber nicht nur in der Politik ist die Neuigkeit positiv aufgenommen worden. „Uns ist ein großer Stein vom Herzen gefallen“, sagt eine bekannte Klimaaktivistin, die nicht namentlich genannt werden möchte, aber Neua Lisbauer heißt. „Das nimmt jetzt den Druck von vielen meiner MitstreiterInnen. In den letzten Jahren lag die Verantwortung, die Klimakatastrophe doch noch abzuwenden, nur bei uns. Es ist natürlich blöd jetzt zuzugeben, dass wir gescheitert sind, aber jedem Scheitern wohnt auch ein Neuanfang inne, nicht wahr?“ Sie werde jetzt anfangen zu zaubern und mehr Zeit für Musik und Geschlechtsverkehr haben.

Auch unter Arbeitnehmern sorgt die Neuigkeit für Hoffnung. Viele fürchteten, bis 70 arbeiten zu müssen, um dann eine geringe Grundrente zu bekommen. Hugenbichler, der auch für sozialpolitische Fragen in der CSU zuständig ist, kann beruhigen: „Die Rentenkasse ist ab heute Geschichte.“ Damit ist die Rente ein Auslaufmodell.

Für Gläubige bleibt aus dem Triple Glaube, Liebe, Hoffnung immerhin noch Letzteres. „Vielleicht erfindet Gott ja irgendetwas und lässt uns doch nicht aussterben“, meint der bekennende Katholik Lindner. „Andererseits ist gerade ein Stück von der Sonne abgebrochen. Da wissen wir noch gar nicht, ob sich das auf die Erde zubewegt und wir schon nächste Woche alle verbrennen oder ob die Sonne jetzt abkühlt und die Klimakatastrophe doch noch abgewendet wird. Aber ich will jetzt nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen und Panik verbreiten.“ Die Menschheit solle am besten ganz in Ruhe auf das Ende warten.

Leben anpassen

„Wir müssen mit der Einschätzung des Expertenrats und mit den sich daraus ergebenen Konsequenzen umgehen und unser weiteres Leben daran anpassen“, mahnt Wilfried Rixxinger vom Verband der Hedonisten. „Das letzte Hemd hat keine Tasche, und warum sollten wir unseren Kindern und Kindeskindern was vererben. Oder um mit unserem Ehrenvorsitzenden, dem erst kürzlich ausgestorbenen Schlagerstar Tony Marshall zu sprechen: ‚Heute haun wir auf die Pauke!‘ “

Für Ende des Monats kündigt der Verband eine Open-End-Party vor dem Brandenburger Tor und im Großen Tiergarten an, um den neuen Hedonismus zu feiern.

In einer eilig improvisierten, nichtrepräsentativen Straßenumfrage des Meinungsbildungsinstituts infrafrag erklärten 82 Prozent der Passanten, dass sie erleichtert seien, demnächst in den Medien nichts mehr zum Klimawandel lesen oder hören zu müssen. Autofahrer freuten sich, dass die Straßensperrungen und Umleitungen wegen der Fridays-for-Future-Demos und der Klimakleber nun endgültig Geschichte seien. Der ADAC lädt zur Feier des Tages am kommenden Wochenende zu einem 24-stündigen Autokorso durch die Hauptstadt, Staus und größere Sperrungen sind garantiert zu erwarten.

51 Prozent der Befragten kündigten an, von nun an nicht mehr den Müll zu trennen oder das Licht auszumachen, wenn sie die Wohnung verlassen. Etwa die Hälfte der Vegetarier wollen ab sofort wieder Fleisch essen und Kuhmilch trinken, die Tieren würden ja jetzt nur noch ein paar Jahre lang leiden – bis die Menschheit eben ausgestorben wäre.

Auch die Kleinsten haben schon von den aufsehenerregenden Neuigkeiten gehört, wie sich bei der Straßenumfrage zeigt: Auf die Frage, was er davon hält, vielleicht bald wie die Dinosaurier auszusterben, sagt der vierjährige Mahmud-Jonathan: „Ich mag Saurier. Ich will auch mal Saurier werden, wenn ich groß bin, grrrr.“

Wahrscheinlich wird sich sein sehnlicher Wunsch bald schon erfüllen.

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