Die Wahrheit: Dreoilín am Pfahl

Was braucht es für gelungene Weihnachtsfeiertage? In Irland mindestens einen trickreichen Zaunkönig, Truthahn für alle – und eigentlich auch Wärme …

Es ist alles anders in diesem Jahr. 2021 waren wir in der Vorweihnachtszeit nachts im Dubliner Zoo, weil man dort in der Kälte hell erleuchtete Tiere aus Plastik besichtigen konnte, während die echten Tiere in ihren beheizten Gehegen Winterschlaf hielten.

In diesem Jahr hat man ihnen die Heizung abgestellt. Stattdessen wurden Löwen, Tiger, Gazellen und Zebras in einen Schuppen gepfercht, damit sie sich gegenseitig wärmen. Die Plastiktiere wurden abgeschaltet – wie auch alle andere Festbeleuchtung in Dublin. Man hat die Zeremonie, mit der die Weihnachtszeit offiziell beendet wird, aus Energiespargründen vom Januar in den November vorverlegt. Eamon Ryan, Chef der irischen Grünen, zog alle Stecker.

„Für die Weihnachtsstimmung reichen ein paar Kerzen“, sagte er. Und das Nachrichtenportal Waterford Whispers fand heraus, dass der eingesparte Strom ans Rechenzentrum des Irland-Gönners Apple umgeleitet wurde. Außerdem soll Ryan von Haus zu Haus gegangen sein, um den Kindern zu erklären, dass sie sich die umweltschädlichen Briefe nach Lappland sparen können, weil es den Weihnachtsmann gar nicht gebe.

Der König der Vögel

Den Zaunkönig hingegen gibt es trotz irischem Weihnachtsbrauchtum immer noch. Am zweiten Feiertag, dem St. Stephen’s Day, jagt der Ire diesen kleinen Vogel, der auf Irisch Dreoilín heißt, was „Trickbetrüger“ bedeutet. Als die Vögel nämlich einen Wettbewerb veranstalteten, um herauszufinden, wer am höchsten fliegen könne, versteckte sich der Zaunkönig im Gefieder eines Adlers. Als der hoch über den anderen Vögeln schwebte, schlüpfte der Zaunkönig heraus und flog noch höher. Fortan war er der König der Vögel.

Aber der Zaunkönig gilt auch als Verräter. Er soll das Versteck der irischen Soldaten im Krieg gegen die Wikinger preisgegeben haben, indem er mit seinen Flügeln gegen ihre Schutzschilde schlug. Und er soll auch den heiligen Stephen verraten haben, so dass der gesteinigt wurde. Deshalb nagelte man die gefangenen Zaunkönige am St. Stephen’s Day an einen Pfahl. Wegen Tierschutzbedenken macht man das heutzutage nicht mehr.

Essen darf man den Zaunkönig auch nicht. Dafür kommt sein großer Bruder zu Weihnachten auf den Tisch: Ein Truthahn reicht. Ich muss mich allerdings von der Zubereitung des Festessens fernhalten. Voriges Jahr war ich für die Soße zuständig – eigentlich eine kinderleichte Aufgabe. Leider hatte ich schon ein paar Rotweingläschen zu mir genommen, und wegen des Kerzenlichts war es recht schummrig, so dass ich statt zum Soßengranulat versehentlich zum Pulverkaffee griff.

Eines ändert sich in Irland seit 20 Jahren nicht: „Fairytale of New York“, das garstige Lied von Shane MacGowan, der am Weihnachtstag 65 wird, steht wieder auf Platz 1 der Weihnachtscharts. Nollaig Shona Daoibh! Frohe Weihnachten allerseits!

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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