Die Wahrheit: Die Geisterbusse von Dublin

Gefühlt alle irischen Busse fahren nach As Seirbhís, das bedeutet: „Außer Dienst.“ Aber manche verschwinden auch einfach komplett …

Vorvorigen Sonntag ging gar nichts in Dublin: Der öffentliche Nahverkehr stellte am 1. Weihnachtsfeiertag wie jedes Jahr den Dienst ein. Wer bei der Verwandtschaft zum Truthahnessen eingeladen war, musste das Auto nehmen – und abstinent bleiben, was in Irland in dieser Jahreszeit eigentlich verboten ist. Durstige gingen bei Nieselregen zu Fuß oder fuhren mit dem Rad.

Viele merkten aber gar nicht, dass keine Busse fuhren, denn die verschwinden auch an normalen Tagen. Die Apps und die elektronischen Anzeigentafeln an den Haltestellen künden verheißungsvoll das unmittelbar bevorstehende Eintreffen eines Busses an, doch dann wird nichts draus.

Colin, ein Bekannter, erzählte, dass er neulich in einem Vorort gemeinsam mit einem jungen Mann auf den Bus gewartet habe. Die Anzeigentafel behauptete, der Bus käme in fünf Minuten. Drei, zwei, eins – dann war er da. Aber es war ein unsichtbarer Bus. Als Colin sich umdrehte, war der junge Mann verschwunden. Er musste in den Geisterbus eingestiegen sein, denn weit und breit war nichts von ihm oder dem Bus zu sehen. „Wer informiert eigentlich die Verwandten“, fragte Colin, „dass ihr Familienmitglied verlorengegangen ist?“

Ein äußerst wahres Elend

Das Unternehmen Dublin Bus erklärte, dass man nicht genügend Fahrer habe, so dass viele Busse ausfallen. Leider gebe es keine Möglichkeit, die elektronischen Tafeln oder die App automatisch zu aktualisieren. Ein Angestellter müsse einen anderen anweisen, den Bus aus dem System zu nehmen, aber man komme mit dieser Arbeit einfach nicht nach. So entstünden Phantombusse. Oder will man den Kunden nicht die Hoffnung rauben? Sie merken ja früh genug, dass sie in die Irre geführt worden sind.

Immerhin seien 17 Prozent aller Busse pünktlich, erklärte Dublin Bus stolz. Allerdings handelt es sich um eine irische Interpretation von Pünktlichkeit. Wenn ein Bus lediglich 5 Minuten und 59 Sekunden verspätet ist, gilt er als pünktlich. Die Kundschaft, die fast sechs Minuten in der Kälte steht, sieht das gewiss anders.

Manchmal tauchen Busse aber auch im Rudel auf, und alle fahren nach As Seirbhís, wie ein Tourist verwundert feststellte. Das bedeutet: „Außer Dienst.“

Wenigstens können sich die Busfahrer ohne Fahrgäste sicher fühlen. In den vergangenen fünf Jahren sind 429 Fahrer von Passagieren angegriffen worden, während 461 Passagiere im selben Zeitraum vermöbelt wurden. Allerdings nicht von Busfahrern.

Früher hingen an den Haltestellen Fahrpläne, was aber genauso nutzlos war. Sie waren nämlich an sämtlichen Haltestellen identisch: Sie zeigten nicht die Ankunftszeit des Busses, sondern den Moment, an dem er möglicherweise das Depot verlassen hatte. Dann konnte man schätzen, wann er eintreffen könnte. Heutzutage erledigt das die Anzeigetafel.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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