Die Wahrheit: Hechtsprung der Verzweiflung
Das lebende Bein. Eine Fortsetzungs-Story der etwas anderen Art (Teil 5). Heute: Baxters Ermittlungen in fahrenden Zügen …
Was bisher geschah: Bei Baxter, einem Ex-Geheimdienstler mit Goldfisch, taucht nach 35 Jahren Joane wieder auf, seine alte Liebe. Im Gepäck hat sie eine knifflige, ja blutrünstige Frage: „Was hat es mit dem lebenden Bein auf sich?“ Mörderisch spannende Nachforschungen nehmen ihren Lauf …
Wahrlich, Doktor Meimers und Konsorten würden sich warm anziehen müssen. Vorausgesetzt, Baxter schaffte es rechtzeitig zum Bahnhof. Vorausgesetzt fürderhin, in Xanten herrschten die für Xanten typischen Temperaturen. Er selbst schwitzte, dass es ihm schon unter dem Schulterholster juckte. So wie es ihm auch in den Fingern juckte, die Fäden endlich zusammenzuführen. Atemlos stolperte er auf den Bahnsteig. Und sah die roten Zugschlussleuchten höhnisch leuchten.
Baxter nahm die Beine in die Hand und spurtete dem ausfahrenden Verkehrsmittel hinterher. Ihm war, als unterstütze ihn ein drittes Bein. Ein unangenehmer, abstoßender Gedanke, den er sofort beiseiteschob.
Ganz am Ende des Bahnsteigs versuchte er seinen „Hechtsprung der Verzweiflung“. Darüber hatten schon seine Kameraden bei der GSG 9 gelacht, im Hindukusch, in Kairo und damals in Kassel: „Seht den begossenen Pudel, er vollführt erneut seinen Hechtsprung der Verzweiflung.“
Satz über die Schwellen
Baxter legte alle Verzweiflung, derer er habhaft werden konnte, in einen Satz von enormer Weite – und bekam die Zugheckleuchtenhaltevorrichtung zu fassen. Da hing er nun, seine Beine rumpumpumpelten über die Gleisschwellen. Und wieder war es, als würde ein drittes Bein ihm helfen, doch noch den Puffer zu erreichen.
Die Tür war verschlossen. Baxter ließ die Beretta sprechen, da überlegte sie es sich anders. Er klopfte sich den Anzug glatt und strich sein durch den Fahrtwind in Unordnung gebrachtes Haar zurecht. Dann erst schritt er den Gang entlang. Es würde eine lange Fahrt werden. Er musste einen Sitzplatz finden. Ohne Reservierung. So wie damals, im Nachtzug von Wiesbaden nach Schlangenbad, als ihm die Arbeiterwohlfahrt auf den Fersen war.
Lautlos schob er die Gleittür zu einem Abteil auf. Im Dämmerlicht einer tranfunzeligen Leselampe erkannte er eine Gestalt, das Gesicht von einem Schlapphut verborgen. Vermutlich tot, mutmaßte Baxter. Auf dem Tisch eine leere Flasche, vermutlich Champagner. Sein geschultes Ohr vernahm leises Schnarchen, ein beinahe zärtliches „Chr-burrbrrburr“. Vermutlich nicht tot, korrigierte er sich.
Das Winken der Zehen
Erleichtert streckte Baxter die Beine aus – und zuckte zusammen. Seine Schuhe! Seine geliebten Slipper, von nordkoreanischer Kleinkindhand gegerbt! Sie hatten das Gerumpumpel über den Gleisbettschotter nicht überlebt. Aus den zerfetzten Spitzen winkten ihm seine Zehen entgegen. Er zählte sie durch, reine Routine. Erleichtert stellte er fest, das es keine 15 Zehen waren. Leider waren es auch keine 10 mehr, weil er sich seine beiden „großen Onkel“, wie Tante Trude sie stets zu nennen pflegte, offenbar abgerissen hatte.
Baxter biss die Zähne zusammen und murmelte: „Ein zierboxender Kartenabreißer kennt keinen Schmerz.“ Das klappte. Dann versuchte er für eine Weile, die Blutung durch pure Willensanstrengung zu stoppen. Das klappte nicht. Er brauchte Hilfe. Oder Champagner. Oder beides.
Er fixierte die schlafende Schlapphutgestalt gegenüber mit seinem berüchtigten „Blick der Entschlossenheit“, über den schon seine Kameraden von der CIA gelacht hatten, und berührte sie sachte am Knie. Die Gestalt hob den Kopf. Sofort.
Und Baxter entfuhr sein berühmter „Schrei der Heiserkeit“, wegen dem sie ihn damals beim FBI letztlich dann auch gefeuert hatten. Der Schlapphut hickste …
Fortsetzung demnächst
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!