Die Wahrheit: Toxische Susigkeit

Alles ist plötzlich „toxisch“, vor allem für Journalisten, die sich in das neue Modewort so was von verliebt haben, dass es fast schon toxisch ist.

Ich bin ja bekannt dafür, dass ich jeden Scheiß mitmache, zuletzt war es Corona. Natürlich erst, als alle anderen damit längst durch waren und man keinerlei Heldinnenpunkte mehr gewinnen konnte. Eigentlich gab es nur zwei Reaktionen: Wer es immer noch nicht hatte, wollte wissen, woran man die Erkrankung bemerkt: „Du, wahrscheinlich hatte ich es auch schon, aber man lässt sich ja nicht wegen jedem Schnupfen testen …“

Bei Menschen, die den blöden Mist tatsächlich selbst durchlitten hatten, wurden dagegen meine Symptome abgefragt, um festzustellen, wer von uns die Challenge gewonnen hat. Merkwürdigerweise funktioniert die in beide Richtungen: Es gibt Leute, die sich was darauf einbildeten, dass das Virus sie viel weniger krank gemacht hatte als mich, während andererseits die eine oder der andere auch stolz darauf ist, dass es ihm oder ihr viel schlechter ergangen war.

Die einen hielten sich für besonders robust, die anderen für extrem sensibel und anfällig, aber beide Arten waren bessere oder interessantere Menschen als ich, das ließen sie mich spüren. Wir hatten eine toxische Corona-Beziehung.

Damit hätte ich mich jetzt am angesagten Journalisten-Wettbewerb beteiligt, der sich darum dreht, das giftige Wörtlein „toxisch“ möglichst oft in irgendwelchen Texten unterzubringen, ohne daran krachend zu scheitern. Natürlich führt „toxische Männlichkeit“ die Hitliste der Wortverbindungen an, obwohl kein Mensch genau weiß, was das sein soll. Ich auch nicht. Irgendwas mit Männern und Dominanz und Gewaltbereitschaft. Also eigentlich das alte Lied.

Ob „toxische Beziehungen“ auf toxischer Männlichkeit beruhen oder auch ohne funktionieren, hat mir bisher ebenfalls noch niemand erklärt. Auf jeden Fall handelt es sich um Beziehungen, die mir schaden und von denen ich doch nicht lassen kann, so viel habe ich begriffen – also eigentlich auch das alte Lied.

Neulich zum Beispiel saß ich in Berlin in einem Bus, der den Kurfürstendamm hochfuhr und fünfmal an Ampeln und Haltestellen vom selben Jogger überholt wurde. Ich spürte, wie ich daran litt, ohne die Beziehung beenden zu können. Es war „toxische Joggerigkeit“, ganz klar. Andererseits – der arme Läufer, der von einem BVG-Bus verhöhnt wurde, denn schließlich überholten auch wir den schnaufenden Kerl – sechsmal. Am Ende hatte der Bus gewonnen, der herzlose Geselle.

Aus dem Fenster sah ich zugleich noch „toxische Kindlichkeit“: ein Elternpaar auf dem Aussichtsdach der Stadtrundfahrt, das Kind derweil desinter­essiert unten im Bus, auf dem Handy spielend. Wahrscheinlich war das Telefon ebenfalls giftig.

Und ja, es gibt angeblich auch „toxische Weiblichkeit“. Die Definitionen reichen von Selbstknechtung wegen unerfüllbarer Rollenbilder bis zu giftigem Konkurrenzneid auf andere Frauen. Egal was du machst, nenn dich einfach Toxi. Und warte, bis der Scheiß wieder aufhört.

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Susanne Fischer schreibt Romane und Kinderbücher und arbeitet als Geschäftsführender Vorstand der Arno Schmidt Stiftung und des Deutschen Literaturfonds e.V., letzteres ehrenamtlich. (FOTO: THOMAS MÜLLER)

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kari

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