Die Wahrheit: Tournee-Fieber
Neues aus Neuseeland: Die Kiwi-Königin reist um die Welt und wird überall bejubelt. Nur down under wird Jacinda Ardern als „Gorbatschow“ beschimpft.
W as Aotearoa gerade durchmacht, ist der Kater nach der Party. Oder genauer, nach der Welttournee unseres größten Superstars. Auftritt für Auftritt haben wir verfolgt und minutiös analysiert. Was haben wir gebibbert, was waren wir stolz und was sind wir alle erschöpft! Nein, nicht Sängerin Lorde hat Amerika im Sturm erobert, sondern Jacinda Ardern. Atempause für einen Rückblick!
Die US-Tour begann bei „The Late Show“ – am selben Tag, als ein Amokläufer in einer Schule in Uvalde 21 Menschen erschoss. Ardern saß zum dritten Mal bei Stephen Colbert auf dem Fernsehstudiosofa. Die beiden sind längst Freunde, der Moderator ist bekennender Neuseeland-Fan. Sonst flachsen sie über Kurioses down under. Doch diesmal ging es um Waffen.
Colbert hatte Christchurch kurz nach dem Moschee-Attentat besucht und fragte, warum dort das Waffengesetz quasi über Nacht geändert werden konnte, aber nicht in Amerika. Am Ende der Show gab es eine Einladung zur ausstehenden Hochzeit der Premierministerin und ein bezauberndes Foto eines geblümten Kinderkoffers. Den bekommt Arderns Tochter Neve jeden Abend gebracht, wenn ihre Mama den Aktenkoffer aufmacht. Rührend!
Im Ausland gefeiert, daheim unbeliebt
Emotional war der erste Auftritt nicht zu toppen. Doch es wurde noch besser. Als nächstes sprach die Kiwi-Königin, in einen Maori-Umhang aus Flachsfasern und Federn gewandet, vor Absolventen der Harvard-Universität. Gediegener geht es kaum. Auch dort schlug sie neue Töne an. Das Highlight ihrer Rede, die sich vom Recht auf Abtreibung bis Angela Merkel erstreckte: Desinformation und rechte Verschwörungstheorien.
Ardern verriet, dass sie selbst auf ihren Social-Media-Kanälen postet. Ihre misogynen Angreifer im Internet beschrieb sie als „Keyboard Warriors“. Solch einen Tastaturkrieger stelle sie sich als einsam und ungewaschen vor, in ein schlechtsitzendes Superheldenkostüm gekleidet, „das an all den falschen Stellen ausgebeult ist“. Der Saal war begeistert. Das allzu bildliche Zitat machte daheim die Runde. Ein Hit!
Unsere Superheldin, von Republikanern zuvor als „Lenin mit Haaren“ und „satanische Kommunistin“ beschimpft, glänzte auch im Weißen Haus. Ihr Tête-à-Tête mit Joe Biden war der erste Staatsbesuch seit 2014. Sie kokettierte damit, ein „politischer Nerd“ zu sein, und verstand sich mit dem US-Präsidenten so blendend wie zuvor mit Talkmaster Colbert. Am Ende überzogen sie das einstündige Meeting. Zugabe!
Doch dann die Dramen: Arderns Boeing brach in Washington zusammen und drei Delegierte im Team bekamen Covid. „Jacinda Ardern ist Neuseelands Gorbatschow“, titelte der australische Spectator. Gemeint war: im Ausland gefeiert, daheim unbeliebt. In Umfragen liegt Jacinda Ardern nämlich hinten. Inflation, Hauspreise, Gesundheitswesen – das fliegt ihr jetzt wieder um die Ohren. Dann wurde sie auch noch krank. Und nächste Woche steht ihr Boris Johnson bevor.
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