Die Wahrheit: Die lustige Pöbelschar
Der Sound der Fauna: Wenn Eichelhäher missgünstig rätschen und Misteldrosseln unverschämt schnärren.
Die lustige Vogelschar müsste man eigentlich besser Pöbelschar nennen, denn wer genau hinhört, wird entsetzt sein, was unsere Singvögel so hinausposaunen: „Krumme Ficht, krumme Ficht, hack sie ab, hack sie ab!“, hetzte die Singdrossel unverdrossen in aller Öffentlichkeit gegen die arme verwachsene Fichte. Damit ist jetzt Schluss, die dreiste Drossel wurde vom amtlich bestallten Vogelfänger aus dem Verkehr gezogen und sitzt nun hinter Gittern in einer freudlosen Voliere!
Hätte sich die Aufwieglerin mal besser an den Ruf der Goldammer gehalten: „Wie hab ich dich so lieb.“ So etwas will mensch hören. Doch leider zeigt sich der vermeintliche Vorzeigevogel gleich darauf von seiner dunklen Seite: „Schiet, schiet, schiet op die Schüün!“, oder übersetzt: „Scheiß, scheiß, scheiß auf die Scheune!“ Und die Ammer setzt gleich noch einen drauf: „Ich loat dem Bur en Fiiist!“ Fiiist gleich Furz! So etwas will der rechtschaffene Landwirt nun gar nicht hören.
Da hilft dann auch kein versöhnliches „Nie, nie, nie wieder Krieg!“-Gebarme der Ammer, der erste gute Eindruck ist dahin. Auch die subtile Drohung ist in der Vogelwelt nicht unbekannt: „Komm mit, komm mit!“, raunt der Steinkauz, und wir ahnen, warum er Totenvogel genannt wird. Manchmal ist es einfach Zeit, den Wald zu verlassen.
Sogar der vermeintlich harmlose Buchfink droht uns „Ich, ich, ich schreib an die Regierung.“ Mach doch, alte Petze! Der kleine, nette Hausspatz schreit einem „Schelm, Dieb, Schelm, Dieb“ hinterher. Da hilft nur ein Fütterboykott in der kalten Winterzeit!
Äußerungen unterster Schublade
Es klafft einfach eine tiefe Kluft zwischen Mensch und Vogel, denn traurigerweise neigt der Vogel zum Verrat: „Förschter kimmt, Förschter kimmt!“, schreit die Drossel, und der Förster zuckt ertappt zusammen. „Kuhdieb, Kuhdieb, Kuhdieb!“ wird gleich nachgepöbelt, und der Förster macht, dass er Land gewinnt. Ja, soweit ist es schon.
Der Hausrotschwanz schlägt in die gleiche Kerbe: „Du fauler Strrrick, k-kommst jetzt erst nach Haus!“, muss man sich sagen lassen, wenn man von der Nachtschicht nach Hause kommt. Was sagt der Waldkauz dazu? „Du lass mich in Ruh.“ Blödkauz, damischer! Sogar die Friedenstauben pöbeln unverfroren: „Du Kuh du, du dumme Kuh, du“, gurrt die Türkentaube. Sagt man eigentlich noch Türkentaube? Die Ringeltaube jedenfalls greift in die unterste Schublade: „Du Huurstück, du, du Lump du, du Lump du.“
Sogar die vergleichsweise niedliche Kohlmeise versucht zu pöbeln, das „Spitzbub, Spitzbub, Spitzbub“ bringt aber unsere hartgesottenen Rap-Battle-gewohnten Kinder noch nicht einmal dazu, die Augenbraue hochzuziehen, was die Kohlmeise natürlich auf 180 bringt. Und der Buchfink schreit dazu: „So’n Schiitt!“
Zaunkönig im Nieselregen
Dazu deliriert die Rauchschwalbe im Nikotinrausch: „Dörchfreeten, dörchscheeten, schnicker-schnacker, schnicker-schnackerrr-schwull!“ Jawull! Die Vögel haben einfach einen an der Schacke. Außer spotten und spöttern können sie auch ungeniert angeben: „Ich bin das Genie!“, zitiert der Gelbspötter einen anderen unheilvollen gelbfiedrigen Vogel.
Und ganz, ganz selten klingt dann doch im Konzert des gefiederten Pöbels eine feine, poetische Saite an, wenn etwa der Zaunkönig den Nieselregen besingt: „Das mieselt, das fieselt, das klöppelt, das dröppelt, / dat is schün, dat is schün, dat is schün, / da kommt die Spinn riut, Spinn riut, / schnickerdicke Spinn riut, /Schnickerdicke Spinn mag ick girrrrrni!“, wie wir hier nach Klaus Philipps „Vogelstimmen“ zitieren.
Schün gesungen, kleiner König. Hervorheben aus dem pöbelnden Vogelpulk wollen wir noch die gute alte Rohrammer, die bescheiden und sympathisch „Ich sing schlecht, ich sing wieder schlecht“ tremoliert.
Trotzdem gilt leider für uns Waldbesucher: Wer die Vögel dort „singen“ hört, sollte gar nicht hinhören und umstandslos den Vogelfänger rufen. Am besten mit dem Ruf des Schwarzspechts: „Quick, quick, quick, wick, quick, wick!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin