Die Wahrheit: Umzug in den eigenen vier Wänden
Wenn Verreisen im Lockdown nicht möglich ist, warum dann nicht einen Tapetenwechsel auf niedrigstem Niveau anzetteln – mit unvermeidlichen Folgen …
K ürzlich spielten wir bei uns in der Wohnung Zimmerkarussell. Da Teile des familiären Kollektivs mit der vor einigen Jahren vorgenommenen Wohnraumzuteilung nicht mehr zufrieden waren, wurde getauscht, umstrukturiert, neu geordnet. Es kann auch sein, dass die ganze Aktion mit der immobilen Lockdown-Situation zusammenhing: Da Urlaub unmöglich ist und wir uns keine Datsche in der Heide oder sonstwo leisten können, wir aber trotzdem mal unseren Aufenthaltsort ändern wollten, taten wir das einfach innerhalb der Wohnung. Tapetenwechsel auf niedrigstem Niveau.
Außerdem dachten wir, das sei schnell mal gemacht. Allen, die etwas ähnliches planen, rufe ich zu: Isses nicht. Lasst es! Denn wenn alle Zimmer in der Wohnung getauscht werden, entspricht dies einem kompletten Umzug. Bloß ohne Treppe runter, LKW, Treppe rauf. Dafür aber mit größeren Koordinationsproblemen innerhalb der Wohnung.
Wie bei einem normalen Umzug mit Adresswechsel und Nachsendeantrag muss man nämlich seinen ganzen Mist aus den Regalen räumen, in Kisten verpacken, dann die Möbel abbauen, im anderen Zimmer die Möbel aufbauen, die Kisten auspacken und den Kram wieder einräumen. Zwischendurch bleibt einem allerdings nichts anderes übrig, als alles im schmalen Flur zwischenzulagern, weil das Wunschzimmer ja noch nicht leer ist.
Dort muss die andere Person ihren Mist ja ebenfalls aus den Regalen räumen, in Kartons verpacken und die Regale und das Bett abbauen. Und dann gibt es auch noch einen dritten Mitbewohner. Irgendwann versucht man dann alles durch den dreiseitig mit Kisten und Kleidersäcken verstopften Flur aneinander vorbei zu schieben. An diesem Punkt empfiehlt sich die erste Einnahme von Benzodiazepinen.
Oder man räumt nichts in den Flur und tauscht die Kisten und Regalteile einzeln aus: Eine Kiste von A nach B, eine von C nach A, eine von B nach C … Karton für Karton, Schublade für Schublade, Lattenrost für Lattenrost. Dabei muss natürlich alles gut gekennzeichnet sein, damit man nicht durcheinander kommt.
Wie bei einem normalen Umzug findet man dabei auch lang vermisste Bücher, DVDs und Haustiere wieder und stellt fest, dass Motten ihre Eier auch in – zum Zwecke der Fußbodenschonung – unter Möbel geschobene Filzunterlagen ablegen können. Und dass die aus den Eiern schlüpfenden Mottenlarven in der Lage sind, diese Filzunterlagen komplett zu durchlöchern, obwohl eine schwere Kommode draufsteht. Wunder der Natur.
Obwohl man es nicht glauben mag, ist das Elend aber irgendwann vorbei. Und man hat es schließlich sogar geschafft, den Plattenspieler, der seit zwanzig Jahren in der Ecke vor sich hin staubte, wieder anzuschließen. Allein dafür hat es sich gelohnt: Man liegt im neuen Zimmer auf dem alten Sofa und hört „Power in the Darkness“ von der Tom Robinson Band, deren Existenz man vollkommen vergessen hatte.
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