Die Wahrheit: „Geht’s mal bald weiter da?“
In der Schlange an der Supermarktkasse belauscht – der atemberaubendste Dialog des Jahres: Kunde gegen Kassiererin.
Der Typ vor mir packt Unmengen Zeugs aufs Band. Aber die Kassiererin ist superschnell. „Sammeln Sie Payback?“, fragt sie und haut die Endsumme rein. – „Nein.“ – „Wollen Sie mal versuchen?“ – „Nein, danke. Ich will diesen Rabattkram nicht.“ – „Okay, müssen Sie wissen“, sagt sie schnippisch. Während er seine restlichen Sachen abräumt, fügt sie hinzu: „Ich jedenfalls hab von meinen Eltern gelernt, dass man kein Geld einfach so liegen lässt.“
Der Kunde blickt sie entgeistert an, sagt aber nichts. Endlich ist er so weit. – „Zahlen Sie mit Karte?“ – „Nein, in bar.“ Er fingert zwei Hunderter aus seiner Brieftasche. – „Macht dann einsneunundsiebzig. Haben Sie’s vielleicht kleiner?“ Der Kunde stutzt: „Wie bitte?“ – „Ob Sie’s kleiner haben.“ – „Nein, ich meine: Wieso nur einsneunundsiebzig? Sie meinen doch sicher einhundertneunundsiebzig.“ – „Hören Sie: Wenn ich einsneunundsiebzig sage, meine ich garantiert nicht einhundertneunundsiebzig, sondern …“, sie betont jede Silbe, „… einen Euro und neunundsiebzig Cent.“
Sie trommelt nervös mit den Fingern. Er blickt hilflos auf die Scheine in seiner Hand: „Sie meinen wirklich, äh, Cent?“ – „Herrgott noch mal!“ Sie dreht die Digitalanzeige der Kasse so, dass auch ich es lesen kann. „Und falls Sie’s nicht wissen: Cents – das sind diese runden Dinger mit den Zahlen drauf.“
Lachender Betriebaufhalter
Ein blöder Witz, aber der Mann muss lachen. Wenn auch eher so ein „Alles klar, aber verarschen kann ick mir selba“. Er deutet auf seinen Einkaufswagen: „Das alles? Für nur …?“ – „Genau, und jetzt halten Sie hier mal nicht länger den Betrieb auf.“
Ich schaue mich um. Tatsächlich. Die Schlange hinter mir ist schon ziemlich lang. Und die Einkaufswagen sind alle voll. Komisch nur: Obwohl vier weitere Kassen geöffnet sind, steht da niemand an. Entsprechend unbeschäftigt sehen die Kassiererinnen dort aus. Gelangweilt, möchte ich fast meinen.
„Finden Sie wirklich“, sagt der Mann, „dass ein Euro neunundsiebzig für all das hier“, er deutet erneut auf seinen prall gefüllten Wagen – und versucht’s dann auf ironisch, „nicht ein kleines bisschen zu teuer ist?“ – „Also, wenn’s Ihnen hier zu teuer ist …“ – „Nein, ist mir nicht. Ich habe nur den leisen Verdacht, dass Sie sich verrechnet haben. Und zwar ganz gehörig. Zu meinen Gunsten.“ – „Ach, jetzt wollen Sie mir auch noch an die Kompetenzen? Dann schauen Se bitte mal!“ Sie zeigt ihm den Beleg aus dem Drucker. „Ich und mich verrechnen? Lächerlich!“
Superteure Beutel
Aus dem Hintergrund ruft jemand: „Was’n los da? Geht’s mal bald weiter?“ – „Schon gut, schon gut.“ Der Kunde steckt die Hunderter wieder weg, kramt grummelnd nach Münzen. „Ach so. Könnte ich bitte noch einen Beutel?“ – „Mit oder ohne Reklame?“ – „Ohne.“ Die Kassiererin reicht ihm einen, tippt was in die Kasse. „Dann sind das jetzt fünfhundertein Euro und neunundsiebzig.“ Der Mann erstarrt. „Soll das etwa heißen, so ein Drecksbeutel kostet …“ – „Ohne Reklame 500, mit 250!“ Sie deutet auf ein Schild. Der Kunde schluckt. „Na, dann mit.“ – „Macht dann zweihunderteinfuffzigneunundsiebzig.“
Der Kunde gibt ihr wortlos die beiden Hunderter und den Rest. – „Na bitte!“ Die Kassiererin lacht höhnisch. „Warum nicht gleich so? Und bringen Se das nächste mal ’ne Tasche mit. Ist eh besser wegen der Umwelt.“ Wendet sich dann kopfschüttelnd mir zu. „Was bloß mit die Leute ist heute? Ham wa Vollmond, oder was?“
Ich sage lieber nichts. Nehme später auch die Punkte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit