Die Wahrheit: Verirrland
Reisefieber ist so 2019, also jedenfalls v.C. (vor Corona). Dumm, wer sich nach Buchung auf Rückerstattung verlassen hat.
N ein, ich jaule nicht herum, weil der Liebste und ich im vergangenen Sommer nicht nach Irland fliegen durften. Wir hätten schließlich früher reisen können. Im Jahr vor Corona und in dem Jahr davor. Und in all den Jahren davor und davor. Da wollte ich nicht.
Nun war es plötzlich nicht mehr erlaubt. Als das Reisedatum nahte, wollte ich nichts anderes mehr als nach Irland. Landschaft! Elfen! Guinness! Ich würde nicht glücklich werden, wenn ich nicht nach Irland käme. Täglich verfolgte ich die Nachrichten über Risikogebiete. Die irische Freundin, die wir besuchen wollten, durfte ihr Haus nicht mehr verlassen, außer zum Einkaufen und für Spaziergänge in der unmittelbaren Umgebung. Alle Museen und Pubs waren geschlossen. Währenddessen taten die Elfen allerdings, was sie wollten. Ohne mich!
Weil ich, hatte ich das schon erwähnt?, unbedingt nach Irland wollte, hatten wir sehr frühzeitig einen Flug gebucht, lange ehe das Virus um die Welt reiste. Inzwischen weiß ich, dass wir einen Fluch gebucht haben, denn die Firma, die ich aus Tarnungsgründen „Letzte Minute“ nennen könnte, aus Wahrheitsliebe aber als lastminute.de offenbare, sitzt bis heute auf unserem Geld für die Tickets und schickt uns durch alle Höllenkreise verlogener E-Mails und schlecht besetzter Callcenter, während unsere Talerchen pausenlos nach Irland und zurück reisen.
Lieblingslügen der garstigen Geldentzieher: „Sie erhalten alle Neuigkeiten in Ihrem persönlichen Kundenbereich.“ Der befindet sich im Internet. Wenn der treudoofe Trottel (ich) dem räudigen Reisevermittler (die) glaubt, begibt er sich direkt dorthin und findet: nichts. „Wir versichern Ihnen, dass die Bearbeitung pünktlich und im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen erfolgt.“ Na ja, da habe ich mich zumindest gut unterhalten gefühlt von den schurkischen Scharlatanen aus dem miesen München. Und weiter: Die Abwicklung der Rückerstattung „kann bis zu zwei Monate dauern“. Als diese Mail deutlich über zwei Monate nach dem abgesagten Flug bei uns eintraf, begannen der Liebste und ich mit dem Einstudieren von Lachduetten. Das ist inzwischen vier Monate her, wir können damit bald auftreten.
Fliegen eh nicht mehr
Auch baten uns die lausigen Lümmel, von Telefonaten abzusehen, um Wartezeiten zu vermeiden. Trotzdem haben wir mit Picknick und Schlafsack am Telefon kampiert, bis nach einer langen Reise durch ein mörderisches Menü und eine widerliche Warteschleife ein Mitarbeiter versehentlich abnahm und versuchte, uns rasch einen Freifahrschein in unseren persönlichen Kundenbereich im idiotischen Internet anzudrehen. Möge eine irische Wichtelarmee umgehend die Konzernzentrale übernehmen!
Aber Fliegen ist eh nicht mehr angesagt. Sollte ich es trotzdem noch einmal versuchen wollen, buche ich mein Ticket nicht im Netz, sondern bei der netten Elfe an der Ecke, versprochen. Die wird uns gewiss notfalls persönlich nach Irland transportieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung