Die Wahrheit: Hochfrisiert bis zum Gehtnichtmehr
Kein bisschen witzig: Der große Wahrheit-Report von Deutschlands Straßen – und was der Mann mit dem Föhn damit zu tun hat.
Die Landesstraße 213 im Landkreis Harburg, Ortsdurchfahrt Helmstorf. An einer Bushalte steht ein Mann mit gelber Warnweste und föhnt den Verkehr. Oder wie soll man das nennen, wenn einer mit einem Haartrockner auf die Kolonnen von Fahrzeugen zielt, die in hoher Frequenz durch die Ortschaft brettern. Wir fragen mal nach.
„Sieht so aus, als föhnen Sie den Verkehr.“ – „Ja, sieht so aus. Ist aber gar nicht angeschlossen.“ Der Mann zeigt auf das Ende des Föhnkabels, das lose in der Luft baumelt. – „Ach, dann tun Sie nur so, als föhnten Sie den Verkehr. Was ist denn das für’n Blödsinn?“
Der Mann stutzt kurz. „Muss ich das wirklich erklären?“, fragt er erst und versucht es schließlich so: „Damit versuche ich die Autofahrer daran zu erinnern, dass sie möglicherweise ein Tempo draufhaben, das sie hier nicht draufhaben sollten.“ – „Ach was! Wenn die Sie hier mit einem Föhn stehen sehen, denken die doch bloß, der hat’n Föhn.“ – „Nein, die denken eher, der hat ’ne Radarpistole, mit der er ihre Geschwindigkeit misst. Und mich halten sie für einen Polizisten.“ – „Sind Sie aber nicht.“ – „Natürlich nicht. Ich bin bloß Anwohner.“ – „Der aber so tut. Ziemlich anmaßend, finden Sie nicht?“ – „Nein, überhaupt nicht. Oder haben Sie schon mal einen Polizisten den Verkehr föhnen gesehen?“
Lachender Verkehrsföhner
Sagt’s und richtet jetzt seinen Föhn auf eine schnittige Limousine, die mit 70, 80 Sachen heranprescht: Sofort steigt ihr Fahrer in die Eisen. Ebenso der des nächsten Fahrzeugs, ein 7,5-Tonner, geschätztes Tempo 92. Und auch die Fahrerin eines Kleinwagens bremst lieber ab, bevor ihr viel zu hohes Tempo (gefühlte 87) vermeintlich gemessen und sie gleich rausgewunken wird. Wie sie wohl fürchtet – was aber in echt natürlich nie passiert. „Weil die Polypen einfach Besseres zu tun haben“, weiß der Mann, bevor er den nächsten Karachofahrer abföhnt, der seine Raserei derart erschrocken drosselt, dass ihm der folgende schnelle Hirsch fast hinten draufknallt. „Schade!“, lacht da der Föhner, „wäre zu schön gewesen.“
Ob er selbst auch Auto fahre, fragen wir ihn. „Gelegentlich schon, klar. Doch was soll die Frage?“ – „Na ja …“ – „Aber natürlich fahre ich dann stets angepasst. Würde hier zum Beispiel nie schneller als 20, allerhöchstens 25 fahren.“ – „Erlaubt sind aber 50.“ – „Wissen Sie was?“ Er lässt abrupt den Föhn sinken. „Sie interviewen mich doch nur, weil Sie mich für eine Witzfigur halten, stimmt’s?“ – „Nun … nein …“ – „Und einen witzigen Artikel über mich schreiben wollen, oder?“ – „Also, ja … schon, aber …“ – „Aber dass das mal klar ist: Ich bin kein bisschen witzig! Und Autofahrer sind die Pest. Verstanden?“ Wir nicken stumm. „Vor allem, wenn sie zu schnell unterwegs sind in ihren Ekelkarossen. Also praktisch immer.“ – „Vielleicht Spielzeug und Kinderräder am Straßenrand postieren, um so an die Autofahrer zu appellieren. Oder Blitzerattrappen aufstellen?“ – „Alles schon gemacht. Nutzt alles nüschts.“ – „Aber das Föhnen funktioniert doch eigentlich ganz gut …“ – „Ja. Aber nur, wenn ich das den ganzen Tag mache. Kann ich aber nicht. Hab ja noch anderes zu tun?“ – „Was denn, wenn man fragen darf?“ – „Zum Beispiel ein BobbyCar bauen, so groß wie ein echtes Auto. Und das dann hier in der Ortsdurchfahrt schön verkehrsberuhigend parken …“
Abrupter Bremser
Der Föhner hält plötzlich inne. Ein riesiger SUV stoppt neben uns – ohne Fahrer, wie es zunächst scheint, weil hinterm Lenkrad so gar niemand auszumachen ist. Erst als die Seitenscheibe runtersurrt, sieht man da ein Männchen sitzen. „Sag mal, geht’s noch, Arschgesicht?“, blafft es den Föhner an. „Hier auf Radarkontrolle machen und uns Driver so erschrecken, dass wir abrupt bremsen müssen und womöglich Auffahrunfälle bauen?“ – „Wieso?“, erwidert da der Föhner, während er zugleich in die Hocke geht, um den Stecker des Föhns in eine Steckdose zu prokeln, die sich – und da staunen wir wirklich nicht schlecht – unter einer Klappe im Gehweg auftut, „wer nicht fährt wie ein Idiot, braucht auch nicht abrupt zu bremsen. Man sollte eben immer damit rechnen, dass da einer mit Föhn steht. Oder ein Kind auf die Straße rennt.“ – „Okay. Das reicht!“, quengelt der SUV-Fahrer, „ich rufe die Bullen.“
Schon greift er zu seinem Telefon, aber kaum, dass er es schnittig entsichert und die 110 eingetippt hat, schickt ihm der Föhner einen fauchenden Föhnstrahl in die Fresse, der so was von vernichtend megaheiß ist, dass dem SUV-Typen vom Kragen aufwärts sofort alles wegschmurgelt. Kopflos kippt er zur Seite, als aus dem Handy, das der oben rausqualmende Torso noch in der Hand hält, eine Stimme ertönt: „Polizei Notruf. Wie kann ich Ihnen helfen?“ – „Sorry, verwählt!“, ruft da der Föhner geistesgegenwärtig. Und fügt leise hinzu, während er sich langsam zu uns umwendet: „Never call the cops!“
Wir sehen zu, dass wir (aber gerade so schnell wie erlaubt) Land gewinnen.
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