Die Wahrheit: Schweinestau im Wurstparadies
Die Pest geht um und das Borstenvieh braucht mit einer Gemeinsinn stiftenden Aktion dringend Hilfe von aufrechten deutschen Kotelettfreunden.
„Corona-Alarm im Schlachthof“ oder „China stoppt Import von deutschem Schweinefleisch“ – erschreckende Schlagzeilen wie diese zeigen die dramatische Lage des deutschen Schweinesystems. Es droht der Ruin einer ganzen systemrelevanten Branche. Ein Katastrophenszenario, das die Politik zum Eingreifen zwingt.
Da kann nur noch einer helfen: Norbert Böhmfelder. Der Staatssekretär aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium weiß, dass jetzt nur noch beherztes Handeln das Schlimmste verhindern kann. „Wir müssen die Schweine aus den Ställen bringen, koste es, was es wolle.“ Böhmfelders Plan: Mit einer großangelegten Image-Kampagne soll der Ruf des deutschen Borstenviehs aufgemöbelt werden. Dafür sollen die unverkäuflichen Tiere an interessierte Haushalte vermittelt werden.
„400.000 Schweine suchen ein Zuhause. Wenn nur jeder 200. Deutsche ein Schwein in Pflege nimmt, können wir das aus der Balance geratene System wieder zum Laufen bringen. Ich glaube, wir schaffen das!“, meint Böhmfelder.
Die Initiative unter dem Motto „Dein Schwein für Deutschland (DSFD)“ möchte Tierschützer wie Schweinefleischliebhaber gleichermaßen ansprechen. Sie soll den Gemeinsinn stärken und einen Beitrag zur Rettung des Schweinestandorts Deutschland leisten. „Deutschland ist das Land der tausend Wurstsorten“, erklärt Böhmfelder. „Ohne dampfende Schlachtschüssel, ohne knusprige Schweinshaxe ist das doch nicht mehr das Deutschland, das wir lieben. Das Schwein ist absolut identitätsstiftend für unsere Heimat.“
Landwirt Hubert Drubanski sieht das genauso, doch ihm ist in den letzten Wochen jeder Optimismus vergangen. Gedankenverloren steht er in seinem Stall und blickt sinnierend auf seine etwa 2.000 Schweine, die sich wohlig grunzend im Stroh wälzen. Als er sich ihren Koben nähert, recken sie neugierig die Hälse.
„Diese Tiere sind alle schlachtreif“, erklärt der stämmige Brandenburger, „nächste Woche müssten sie eigentlich in den Schlachthof transportiert werden.“ Doch daraus wird vorerst nichts werden. Bei Drubanski herrscht Schweinestau. Sein Hof liegt mitten in der von der Afrikanischen Schweinepest betroffenen Kernzone. Der 44-jährige Schweinemäster kommentiert die Lage mit Galgenhumor: „Erst kam Corona, dann hatten wir die Pest am Hals. Der Markt ist tot – ich glaube, ich sperre den Laden zu, fliege nach Malle und stecke den Kopf in den Sand.“
Durchfüttern in der Krise
Sein Defätismus ist verständlich, denn anstatt die Tiere vermarkten zu können, müssen sie in der Krise weiter durchgefüttert werden. Umso dringlicher ist das Gelingen von „Dein Schwein für Deutschland“. Erste Erfolge kann die Mitmachaktion des Landwirtschaftsministeriums schon vorweisen: Influencerin Loretta, die auf Instagram ihre Follower bislang eher für Schminktipps und Modetrends begeistern konnte, hat sich in Zeiten des nationalen Schweine-Notstands zur echten „Pigfluencerin“ gemausert.
„Die kleinen Ferkel sind ja sooo süß – und so intelligent“, flötet die 19-jährige Göttingerin und bindet Schweinchen Charly einen Schal von Gucci um den Hals. „Charly soll sich bei dem Wetter ja nicht verkühlen, wenn wir gemeinsam spazieren gehen.“ Wie Loretta es schafft, den Alltag in ihrem 48 Quadratmeter großen Apartment mit dem Schwein zu teilen, wird mit Spannung verfolgt, einige Follower werden sich bestimmt zu einer Schweine-Adoption inspirieren lassen.
Ulf Pongratz hat gleich drei Schwäbisch-Hällische Landschweine bei sich aufgenommen. Der Betreiber des Gasthofs Zum Goldenen Kreuz in Bayreuth ist ein Verfechter der „From nose to tail“-Küchenphilosophie. Und definitiv kein Freund vegetarisch-veganer Modetorheiten.
„Die Veggie-Jünger können meinetwegen ihre Tofu-Würstchen anderswo mümmeln“, meint der Gastronom aus Leidenschaft, „aber bei mir kommt immer noch ein deftiger Schweinsbraten auf den Tisch.“
Hausschlachten wie früher
Die drei Schweine hält er im Hof des historischen Gebäudes, gefüttert werden sie mit Küchenabfällen und Essensresten, und wenn sie das richtige Gewicht auf die Waage bringen, wie früher hausgeschlachtet. „Mein Konzept wird von der Kundschaft sehr gut angenommen, die Leute reisen von weither an, und unser Umsatz steigt und steigt. Wir überlegen schon, ob wir weitere Schweine dazunehmen.“
Dass sein Haus von der Kundschaft gestürmt würde, davon kann Pfarrer Georg Preißinger nur träumen. Seine Kirche ist meist gähnend leer. Nur an Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern steht der 56-Jährige vor vollen Kirchenbänken. Was lag da näher, als sich an der DSFD-Aktion der Bundesregierung zu beteiligen. Symbolträchtig hat er zwölf Schweinen, die sich im hinteren Teil der Kirche sauwohl fühlen, „Kirchenasyl“ gewährt.
„Wenn ich damit diese geschundenen Kreaturen vor Tönnies’ Killer-Kommandos retten kann, ist es doch meine heilige Christenpflicht, es zu tun.“ Und wenn sich wieder einmal kein Mensch in seinen Gottesdienst verirrt – die zwölf Schweine hören seiner Predigt dankbar grunzend zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen