Die Wahrheit: Weltherrschaft! Weltherrschaft!
Alle Verschwörungstheorien dieser Welt beginnen an einem Punkt: Im Kleiderschrank einer Frau, der stets mehr als reichlich bestückt ist.
I ch habe eine Freundin, die in ihrem reich bestückten Kleiderschrank gelegentlich etwas nicht wiederfindet. Ihr erster Gedanke ist dann, dass die Putzfrau es entwendet haben könnte. In meinem eigenen, leider recht unaufgeräumten Textilienvorrat entdecke ich dagegen ab und zu nagelneue Basic-T-Shirts, an deren Kauf ich mich nicht erinnern kann. Dennoch bin ich noch nie auf die Idee verfallen, dass jemand anders sie dort versteckt haben könnte, ohne mich darauf hinzuweisen.
Was kann man daraus lernen, außer, dass ich zu viele T-Shirts besitze, ohne es zu wissen, und mein Konsumverhalten kontrollieren sollte? Genau. Passiert Mist, sind die anderen Schuld, während wir uns bei guten Dingen auf die Schulter klopfen – was bin ich doch für eine umsichtige Klamottenkäuferin, habe T-Shirt-Vorräte angelegt, als der Rest der Welt noch auf Klopapier stand. Ha!
Corona ist scheiße, da muss jemand schuld sein, also bitte – basteln wir uns eine Verschwörung: Das Virus wurde von niedlichen kleinen Kuschelkaninchen in die Welt gesetzt, die mehr Salatblätter möchten. Falsch. Es darf zwar ein bisschen absurd zugehen, aber ein Drohszenario muss dabei sein. Neuer Versuch: Die flauschigen Hoppler wollen uns Chips implantieren und uns versklaven. Schon besser!
Allerdings sollten die Akteure ausreichend Hass auf sich ziehen können, deswegen lieber keine Tierchen. Also: Die AfD hat Corona gestreut, um den Volkskörper zu reinigen, Alte und Kranke zu euthanasieren und die Hitler-Jugend neu aufzubauen. Oder: Attila Hildmann hat Rinder und Schweine mit dem Virus vergiftet, damit nur Veganer überleben und alle seinen Mist essen müssen.
Ganz gut, aber es ist einfach noch besser, jemanden zu verleumden, den wir nicht mögen, weil er reicher, schlauer, mächtiger oder schöner ist als wir, nicht nur, weil er blöd ist. Bill Gates, die Bundeskanzlerin und die Virologen sind lohnendere Ziele, man muss schließlich auch die eigenen Vorurteile bedienen.
Dann ist es fast schon egal, welches Ziel man der Verschwörung unterstellt, denn über Menschen, die wir beneiden, glauben wir sowieso fast alles, wenn es nur schlimm genug ist. Obwohl mich doch interessieren würde, warum die Bundesregierung die Wirtschaft schädigt und was Bill Gates mit der verfluchten Weltherrschaft eigentlich anfangen möchte. Oder warum die neue Weltregierung es nicht schafft, die Youtube-Kanäle der Spinner abzuschalten, wenn sie uns sonst schon so perfekt im Griff hat. Und was die katholischen Bischöfe eigentlich geraucht haben, ehe sie sich in den Zauber einreihten, wurde auch noch nicht geklärt. Ist nicht überhaupt Gott an allem schuld und damit die Kirche selbst?
All diesen Fragen kann ich aber erst nachgehen, wenn ich weiß, was Xavier Naidoo in meinem Kleiderschrank treibt, wenn ich nicht zu Hause bin. Ob ausgerechnet dort die Weltherrschaft versteckt wurde?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles