Die Wahrheit: Wettergegerbte Arbeitertypen
Brüder, zur Sonne: Liberalenchef Christian Lindner will die FDP ausgerechnet als Partei der ehrlichen Malocher zu neuer Größe führen.
K arl Liebknecht, Ernst Thälmann, Christian Lindner – das ist der neue Dreiklang deutscher Arbeiterführer. Denn Liberalenvorsteher Lindner, so hat er auf dem Dreikönigstreffen seiner FDP – bekanntlich gleich nach dem Maifeiertag die altehrwürdigste Traditionsveranstaltung der deutschen Arbeiterschaft – verkündet, will ausgerechnet die Arbeiter als neue Wählergruppe für seine Partei erschließen. Vor allem solche, die von der SPD bitter enttäuscht sind. Denn allzu oft würden diese zur AfD abwandern. Klar, dass man ihnen da eine glaubwürdige Alternative bieten muss: die FDP eben.
Was läge näher für all jene Unterdrückten und Ausgebeuteten, die hart arbeiten und „von denen da oben“ enttäuscht sind, als zu jenen zu wechseln, die sich wirklich um sie kümmern: Rechtsanwälte, Zahnärzte und Hoteliers. Nach nichts sehnt sich der Arbeiter mehr als nach Leuten, die schon immer dafür eingetreten sind, den gesetzlichen Kündigungsschutz zu erledigen, Arbeitszeiten auszuweiten und vor allem den Chef von seiner ungeheuerlichen Steuerlast zu befreien, die ihn daran hindert, seine bescheidenen Fondsbeteiligungen und Immobilienbesitze angemessen aufzustocken.
Schließlich weiß der Arbeiter noch, was Solidarität bedeutet: dass auch die, die es geschafft haben (nämlich in die Oberschicht hineingeboren zu werden), die Möglichkeit erhalten, es zu noch mehr zu bringen, und zwar ohne sich die Hände dabei schmutzig machen zu müssen. Das erledigt ja schließlich schon der Arbeiter, und der möchte zudem ganz bestimmt nicht, dass ihm demnächst nicht nur der Wirtschaftsflüchtling und der Asylant, sondern auch noch der Investmentbanker oder der Chefarzt seinen Facharbeiterposten streitig machen.
Schon jetzt überzeugt die FDP mit knorrigen Arbeitertypen als Identifikationsanker: Linda Teuteberg, Hermann Otto Solms, Katja Suding – man riecht direkt den Schweiß und sieht ihre dreckigen Fingernägel vor sich. Als besonderen Clou aber präsentierte Lindner nun Florian Gerster, der nach fünf Jahrzehnten in der SPD in die FDP eingetreten ist. Er war einer der Architekten der Agenda 2010, die bis heute jedes Arbeiterherz höherschlagen lässt, zudem langjähriger Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit, also im Grunde auch so etwas wie ein Arbeiterführer. Der Mann ist die beanzugtes Fleisch gewordene Umsetzung des Lindner’schen Versprechens, die FDP kümmere sich zukünftig vor allem um jene, „die es mit Fleiß, Einsatzbereitschaft und Sparsamkeit im Leben zu etwas bringen wollen“.
Womit der alte Taktikfuchs der Liberalen schon ahnen lässt, welche Wählergruppen er als Nächstes für seine FDP erschließen möchte: Obdachlose und Bettler. Auch die kennen sich schließlich mit Fleiß, Einsatzbereitschaft und Sparsamkeit bestens aus, auch sie sehnen sich nach einer politischen Vertretung, die ihre Sorgen und Nöte ebenso teilt wie ihr wettergegerbtes Gesicht – und sei es auch nur durch exzessiven Solariumsmissbrauch.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss