Die Wahrheit: So lasset es richtig krachen!
Neue alte Silvesterbräuche erobern das Land. Zu Besuch bei einem Traditionsknallerverein, der sogar Greta-Thunberg-Puppen sprengt.
Hustend staksen wir durch die dichten Rauchschwaden der alten Lagerhalle, in der Wernfried Wimmer, der Vorsitzende des Vereins zur Wahrung und Weiterentwicklung deutschen Silvesterbrauchtums, uns empfangen hat. Die Vorbereitungen für den Jahreswechsel laufen auf Hochtouren. Die alten VW-Modelle, Pick-up-Trucks und Dieselgeneratoren natürlich auch.
„Alles wollen sie uns verbieten“, klagt Wimmer, „das ganze Land stöhnt unter dem Joch der Tugenddiktatur. Da wollen wir uns wenigstens an Silvester ein bisschen das Herz erwärmen an schönen Erinnerungen von früher.“
Japsend haben wir uns die T-Shirts vor den Mund gezogen und ringen um Atem. „Was hat denn verrauchte Luft mit Silvestertraditionen zu tun?“, gelingt es uns mühsam hervorzuwürgen.
Wimmer schaut uns empört an: „Na, hören Sie mal! Diese Ökoterroristen von den Grünen und der Deutschen Umwelthilfe wollen überall das Böllern verbieten, in manchen Städten dürfen wir schon nicht mehr knallern, wo wir wollen. Am Ende werden sie uns in markierte Quadrate pferchen wie beim Rauchen auf dem Bahnsteig, wenn wir unsere Kanonenschläge zünden wollen! Und warum das alles? Wegen irgendwelcher Partikel in der Luft, die schon einen Tag später nicht mehr nachweisbar sind! Und die, das haben 107 Lungenärzte uns persönlich bestätigt, auch nicht gesundheitsgefährdender sind, als wenn Sie eine Schokozigarette anzünden!“
Atemlos jammert er weiter: „Man wird doch nur noch gegängelt. Immer mehr Fahrverbote in der Innenstadt, und wenn man doch irgendwo noch mit dem Auto hin darf, muss man sich anschnallen und dieses weibische Bleifrei tanken. Wo bleiben denn da unsere Werte? Die Ruß- und Feinstaubwerte zum Beispiel? Deshalb bereiten wir einen großen Autokorso für Silvesternachmittag vor, zum Vordieseln, wie wir es scherzhaft nennen. Denn: Ein bisschen Spaß muss sein! Alte deutsche Tradition!“
Verhalten zustimmend röcheln wir. „Sicherlich, so ein Autokorso, das hat schon auch was Muselmanisches, aber uns soll schließlich niemand vorhalten, wir seien irgendwie rechts“, schiebt Wimmer dann noch nach.
Altgermanisches Feuerfest
Wir atmen gleichzeitig erleichtert auf und tief ein, als wir nun ins Freie treten. Ein ohrenbetäubender Knall betäubt uns umgehend die Ohren, sodass wir Schwierigkeiten haben, Wimmers weiteren Ausführungen zu lauschen. Er erläutert irgendwas von altgermanischen Feuerfesten und christlicher Prägung wegen Papst Silvester, und dass das Böllern zum Jahreswechsel sich tief in die DNS des deutschen Volkes eingesprengt habe, schließlich diene es seit Alters her dazu, die bösen Geister zu vertreiben, also Angela Merkel, Renate Künast und die EU. Klar, dass die da oben alles versuchen, das zu unterbinden.
„Zwei Jahre in Folge war der Umsatz in Deutschland mit Silvesterfeuerwerk nun schon geringfügig unter der Bestmarke von 2017“, klagt Wimmer, „daran sehen Sie, dass hier mutwillig ein guter, alter Brauch kaputtgemacht werden soll. Es ist doch ein Witz, dass ausgerechnet in Deutschland sogenannte Polen-Böller für das aufregendste Silvester-Erlebnis stehen. Traditionell lassen Deutsche es schließlich in Polen ordentlich krachen und nicht umgekehrt!“
Deswegen fahre der Verein eine engagierte Kampagne für mehr Silvesterknallerei: „Wir haben die Besten der Besten engagiert, um pfiffige Slogans für unser Anliegen zu finden. Jetzt passen Sie mal auf – unser Claim lautet: ‚Böller statt Brot!‘ Lustig, nicht? Ein bisschen Spaß muss nämlich sein! Erwähnte ich schon, dass das schließlich auch eine gute deutsche Tradition ist?“
In einem Nebengebäude sitzen einige Vereinsmitglieder um eine große Fritteuse und lassen eine monströse Injektionsspritze kreisen. „Was machen die denn da?“, entfährt es uns verdutzt. „Mettgießen!“, sagt Wimmer stolz.
„Als die Brüsselbüttel uns das Bleigießen verboten haben, suchten wir nach Alternativen, um diesen schönen Brauch zu retten. Am Anfang haben wir es mit Blei-Injektionen probiert. Das hat sich aber irgendwie … – nun ja, nicht bewährt. Und als die Mitgliederzahlen des Vereins allzu rückläufig wurden, mussten wir schweren Herzens über einen Materialwechsel nachdenken. Dieses schwule Wachs, das die Gläubigen der Ökoreligion nehmen, kam natürlich für uns nicht in Frage. Aber jetzt haben wir etwas gefunden, das gleichzeitig sehr deutsch ist, gegen die Islamisierung steht und an dem man nicht ganz so schnell stirbt: Schweinehack! Ein Riesenvergnügen für die ganze Familie: Einfach aus der Spritze in das blubbernde Fett drücken und dann die Zukunft aus den Fleischkrümeln lesen, die sich beim Frittieren bilden.“
„Hey, Werte-Wernfried! Guck mal!“ – ein feister Mann mittleren Alters winkt uns zu. Er hat gerade ein seltsam verkrumpeltes Fleischstückchen aus dem Öl gehoben und zeigt es stolz seinem Vorsitzenden. „Du hast Glück, Manne“, sagt Wimmer anerkennend, „eindeutig ein Wurstfinger! Das verspricht Wohlstand und reichlich Hackepeterbrötchen fürs kommende Jahr!“
Verkaufshit in Ferkelgröße
All diese Aktivitäten kosten natürlich eine Menge Geld, die der Verein erst einmal erwirtschaften muss. „Zum Glück sind wir noch gemeinnützig. Aber wir sind ja auch keine durchgeknallten Politaktivisten wie diese Verfolgten des Nazi-Regimes. Trotzdem müssen wir natürlich für Einnahmen sorgen. Dabei hilft unser neuester Verkaufshit.“
Als wir wieder vor die Tür gehen, führt Wimmer ihn uns stolz vor: eine Greta-Thunberg-Puppe in Ferkelgröße. Wir sind verblüfft: „Ausgerechnet Ihre Klientel kauft Greta-Puppen?“ – „Aber ja“, freut Wimmer sich über die gelungene Überraschung. Dann hält er ein Feuerzeug an einen der Zöpfe und deutet uns, ein paar Schritte zurückzugehen. Die Flamme frisst sich den Zündzopf nach oben, es folgt eine gewaltige Detonation, die die umliegenden Gebäude erbeben lässt. Offenbar ist in Greta nicht nur reichlich Sprengstoff enthalten, sondern auch jede Menge Papier und Plastik.
Im Umkreis der gesprengten Klimaaktivistin sieht es aus wie auf einer Müllhalde. Über das dröhnende Sausen in unseren Ohren hören wir schwach die begeisterte Stimme von Wimmer: „Das ist der Clou! Greta in die Luft jagen, und danach sieht es so aus, wie unsere Kunden sich das nach einer Fridays-for-Future-Demo vorstellen! Sie können direkt mit dem Smartphone ein Foto in unserer App machen, die daraus sofort Anti-Schülerdemo-Memes erzeugt.“
Wernfried Wimmer lacht gackernd: „Ein absoluter Knaller, wenn Sie verstehen!“ Wir nicken benommen, während es in unseren Ohren noch fiept und saust. Mühsam filtern wir heraus, dass er uns zum Abschied noch etwas zuruft: „Ein bisschen Spaß muss sein! Alte deutsche Tradition!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?