Die Wahrheit: Freies Fahren
Zu schnell fahren kann in Irland teuer werden. Das hat der Transportminister in die Wege geleitet, der sich sonst gern selbst auf Abwege begibt.
D er Motorradfahrer auf der Autobahn tat mir wegen des strömenden Regens zunächst leid. Das änderte sich, als er sein Blaulicht einschaltete und mich anhielt. Ob er ein Handtuch wolle, fragte ich ihn. Er knöpfte mir stattdessen 80 Euro wegen Geschwindigkeitsübertretung ab. Das ist der Einheitspreis, ob man 5 oder 50 Kilometer pro Stunde zu schnell fährt.
Transportminister Shane Ross will das ändern und die Strafen staffeln. Wer mehr als 30 km/h zu schnell fährt, soll demnächst 2.000 Euro berappen und wird obendrein den Führerschein los. Dafür gibt es allerdings eine irische Lösung: Nur 13 Prozent der in diesem Jahr verurteilten Fahrer haben ihren Führerschein wirklich abgegeben. Die anderen fahren munter weiter.
Fast die Hälfte der ertappten Fahrer hatte überhaupt keinen Führerschein, den sie abgeben konnten. Eigentlich kostet das 5.000 Euro Strafe und sechs Monate Knast, aber die Behörden kommunizieren nicht miteinander. Das will Ross ebenfalls ändern. Irland wird bald ein Volk von Fußgängern sein, denn auf Bus und Bahn ist kein Verlass, weil das Geld fehlt.
Das wird anderswo investiert. Ross ist auch Minister für Sport und daher für die Verteilung der Mittel zuständig. Das Wesley College erhielt von ihm 150.000 Euro, um das Hockeyfeld auszubessern. Es ist eine teure Privatschule, die über dreizehn Spielfelder für Rugby, Hockey, Fußball, Cricket und Basketball sowie über zwei Sporthallen verfügt, während die staatlichen Schulen in die Röhre gucken. Aber das Wesley College liegt in Ross’ Wahlkreis.
Der Minister gibt sich umweltfreundlich. Neulich ließ er sich beim Aufladen seines Elektroautos fotografieren. Leider merkten aufmerksame Leser, dass die Elektrozapfsäule seit vier Monaten darauf wartet, angeschlossen zu werden. Sein Problem ist, dass jede Kamera bei ihm einen pawlowschen Reflex auslöst.
Als die irische Boxerin Katie Taylor nach einem Kampf als Weltmeisterin zurückkehrte und auf dem Dubliner Flughafen landete, war Ross zur Stelle und wich nicht mehr von ihrer Seite. Es gelang keinem Fotografen, ein Foto von Taylor ohne Ross zu schießen. Eine Webseite berichtete, Taylor sei vom Flughafen direkt in die Klinik gefahren worden, wo man ihr Ross operativ von der Schulter entfernt habe.
Wenigstens kannte er ihren Namen. Bei anderen irischen Sportlerinnen, die irgendetwas gewinnen und zur Strafe von ihm belästigt werden, verwechselt Ross oft die Namen. Die irische Ruderin lettischer Abstammung, Sanita Pušpure, redetet er zum Beispiel mit „Frau Dominant“ an, weil er in einer Zeitungsüberschrift aufgeschnappt hatte, dass „a dominant Pušpure“ Weltmeisterin geworden war.
Der Polizist, der mich beim zu schnellen Fahren erwischt hatte, muss der Bruder von Shane Ross sein. Er schaute auf meinen deutschen Führerschein und sagte: „Sie heißen also Wilmersdorf.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten