Die Wahrheit: Eine Träne auf Reisen
Zopfgretels Schiffstagebuch (Ende): New York, New York – und alle, alle sind sie gekommen. Nur Leonardo DiCaprio ist abgetaucht.
Mittwoch, 28. August 2019. 12.05 Uhr, Ort:40,42340 -74,0032. New York City. Ui, ist mir schlecht. Zu lange die Möwen beobachtet. Sie folgen dem Boot. Kacken alles voll. Ohne Eimer. Dazu noch immer das Geschüttel, das Geschaukel. Dachte, ich würde mich daran gewöhnen. Habe es satt. Siegfried und Roy, meine beiden verfilzten Dreadlock-Zöpfe, brauchen mal wieder Süßwasser. Und biologisch abbaubares Shampoo. Das kann man auch selbst herstellen!
Hänge gerade wieder über der Reling und meinen Träumen von einer besseren Welt nach. Ist das eine Halluzination? Sehe einen Mann auf einem Surfbrett. Er steht aufrecht und paddelt. Schön ist er. Jetzt winkt er. Der Filmemacher ist ganz aufgeregt. Kennt er ihn? Es ist Leonardo DiCaprio. Gestern habe ich von ihm geträumt. Jetzt ist er da. Der arme Junge aus „Titanic“, der von einem reichen Mädchen ausgebeutet wird. Die soziale Frage. Nicht mein Thema. Er winkt mir zu. Will mich begrüßen. Aber will er mich auch heiraten? Hollywood ist vegan und emissionsfrei. Da muss ich hin.
Der Deutsche und Pierre Casiraghi sind auch ganz aufgeregt. Winken wie wild, rufen. Es sind Warnungen. Leonardo winkt zurück. Er ist so nah, dass ich sein Lächeln erkennen kann. Etwas stimmt nicht. Dann sehe ich es auch. Von Backbord nähert sich ein Schatten. Oder war es Steuerbord? Luv? Lee? Ich kann mir das auch nach Wochen noch nicht merken. Dabei kann ich mir sonst alles merken, kann nichts vergessen.
Jedenfalls nähert sich der Schatten. Es ist die „USS New York“, erbaut mit Stahl aus dem World Trade Center. Vorbildliches Recycling. Das Kriegsschiff hupt. Jetzt paddelt Leo wie wild. Das sieht drollig aus, ich muss ein bisschen lachen. Aber es ist zu spät. Sein Surfbrett wird unter dem Bug der „USS New York“ zermalmt. Das sieht traurig aus, ich muss ein bisschen weinen.
Leonardo im Himmel
Der Filmemacher ist begeistert, das kommt alles in die Doku über mich. Papa Svante erklärt, dass Leonardo jetzt im Himmel ist. Ein Märtyrer für eine bessere Welt. Inzwischen begleiten uns ganz viele Segelschiffe. Sie sind alle viel langsamer als die „Malizia“. Endlich sehe ich die Freiheitsstatue. Sie ist viel kleiner, als ich sie mir vorgestellt habe. Ihre Zöpfe hat sie unter einer Krone verborgen. Ich habe das Gefühl, sie nickt mir zu. Macht mir Mut. Sagt: „Komm, und rede mit den Amerikanern!“
Pierre Casiraghi sagt, er fühlt sich wie Kolumbus. Der mit dem Ei. Ich esse keine Eier. Pierre rollt mit den Augen. Kolumbus hat das Ei nur zerschlagen, kein Omelette daraus gemacht. Um etwas zu beweisen. So wie ich. Die Hochhäuser sehen aus wie Hochhäuser. Es sind sehr viele, und sie stehen dicht beieinander. Um sich kuschelig warm zu halten? Was ist das für ein Lärm? Ein Geschwader der Air Force. Die Flugzeuge wackeln mit den Flügeln zu meiner Begrüßung. Das ist total süß. Jetzt malen sie mit Farbe die schwedische Flagge in den Himmel. Papa Svante legt die Hand aufs Herz. Ich knuffe ihn in die Seite. Warum gibt es keine Flagge der Erde? Gebt mir Buntstifte! Ich will diese Flagge malen. Eine blaue Kugel mit grünen Zöpfen.
Regenwald in Flammen
Eigentlich sollte ich mich freuen. Ich habe ein Zeichen gesetzt. Aber der Regenwald in Brasilien brennt. Papa Svante wollte es mir gar nicht sagen. Ich weiß es von der Klasse 8b des John-Lennon-Gymnasiums in Berlin. Mit denen habe ich über Skype gesprochen. Und über den Regenwald. Ich habe ihnen Mut gemacht. Damit die Menschen endlich verstehen, dass man den Wald nicht anzünden darf. Auch haben sie mir erzählt, dass in Russland ein schwimmendes Atomkraftwerk in See gestochen ist. Ich habe ihnen erklärt, dass das gut ist. Ein schwimmendes Kohlekraftwerk wäre viel schlimmer! Da haben sie mich komisch angeguckt und die Leitung ist zusammengebrochen.
Der Deutsche drückt mir ein Formular in die Hand. Ich soll die US-Zollerklärung ausfüllen. Was ich einführe? Hoffnung, dick eingewickelt in Panik. Das verrate ich aber nicht. Was steht da noch? „Hauptzweck Ihrer Reise ist geschäftlicher Natur“. Ui, weiß nicht, ob ich Ja oder Nein ankreuzen soll. Vermutlich geschäftlich. Die Rettung der Welt ist ein schmutziges Geschäft. Jemand muss es sauber machen. Und das bin ich.
Apropos, ich muss den Eimer ausleeren. Aber wie soll das gehen? Unter den Augen der Welt? Hubschrauber schwirren über der „Malizia“. Ich bin schon im Fernsehen. Dort wird oft böse über mich geredet, hat mir die Klasse 8b verraten. Träume ich? Oder spielen da wirklich gerade ein paar Pinguine für mich ein Medley aus „Karl der Käfer“ und „This Land Is Your Land“? Papa Svante sagt, das sind die Philharmoniker. Ich wische mir eine Träne aus dem Knopfloch.
Sachte berührt die „Malizia“ den Landungssteg. Der UN-Generalsekretär pustet mir Luftschlangen ins Haar. George Clooney nimmt mich auf seine breiten Schultern. Dazu spielt seine Frau Amal auf der Mundharmonika. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ui, ist mir schlecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich